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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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unterscheiden. Vor lauter Langeweile begann ich zu lauschen. Es war eindeutig, daß man sich erregt und leidenschaftlich unterhielt, und beileibe nicht über Schnittmuster: Entweder beriet man sich oder man stritt, oder die eine Stimme versuchte zu überzeugen und beschwor, während die andere aufbegehrte und widersprach. Wahrscheinlich irgendwelche anderen Untermieter. Bald hatte ich genug, das Ohr hatte sich eingehört, so daß ich zwar weiterhörte, aber rein mechanisch und zuweilen sogar völlig vergaß, daß ich hörte, als plötzlich etwas Außerordentliches geschah, wie wenn jemand von einem Stuhl heruntergesprungen oder plötzlich von seinem Platz aufgesprungen wäre und mit beiden Füßen aufgestampft hätte; darauf folgte ein Stöhnen und ein plötzlicher Aufschrei, ja, nicht ein Aufschrei, sondern ein Kreischen, tierisch, wütend und völlig hemmungslos, ob Fremde es hörten oder nicht. Ich stürzte zur Tür und riß sie auf; gleichzeitig wurde auch eine andere Tür am Ende des Korridors aufgerissen, die der Vermieterin, wie ich später erfuhr. Zwei neugierige Köpfe streckten sich vor. Der Schrei verstummte jedoch, sobald plötzlich die Tür neben mir aufflog und eine, wie mir schien, junge Frau herausstürzte und die Treppe hinunterlief. Eine andere, ältere Frau versuchte, sie zurückzuhalten, vermochte es aber nicht und stöhnte nur ihr nach.
    »Olja, Olja, wohin? Ach!«
    Aber kaum hatte sie unsere beiden Türen geöffnet gesehen, als sie die ihre bis auf einen Spalt zuzog und so lange auf die Treppe hinauslauschte, bis die Schritte der nach unten enteilenden Olja verhallten. Ich kehrte an mein Fenster zurück. Alles war wieder still geworden. Ein unbedeutender Zwischenfall, vielleicht sogar ein komischer, und bald dachte ich nicht mehr daran. Ungefähr eine Viertelstunde später hörte man im Korridor, unmittelbar vor Wassins Tür, eine laute und ungenierte Männerstimme. Jemand drückte die Klinke herunter und zog die Tür so weit auf, daß ich im Korridor einen hochgewachsenen Mann erkennen konnte, der mich offenbar auch gesehen hatte und nun sogar aufmerksam betrachtete, jedoch nicht ins Zimmer trat, sondern fortfuhr, sich durch den ganzen Korridor, die Türklinke immer noch in der Hand, mit der Vermieterin zu unterhalten. Die Vermieterin antwortete mit einem hohen, fröhlichen Stimmchen, und schon daran war zu erkennen, daß der Besucher ihr längst bekannt und von ihr geachtet und hochgeschätzt war, als Besucher von Ansehen und lustiger Herr. Der lustige Herr redete laut und machte Späßchen, wiewohl es nur darum ging, daß Wassin nicht zu Hause sei, daß es ihm niemals gelingen wolle, ihn anzutreffen, daß es eben sein trauriges Schicksal sei, daß er schon wieder auf ihn warten werde – all das hielt die Wirtin zweifellos für den Gipfel geistreicher Konversation. Endlich trat der Gast ein, nachdem er die Tür sperrangelweit aufgerissen hatte.
    Er war ein gut, offenbar vom besten Schneider nach »hochherrschaftlicher Art« gekleideter Herr, der jedoch nichts weniger als »hochherrschaftlich« war, trotz des beträchtlichen Wunsches, so zu wirken; nicht eigentlich ungeniert, sondern von Natur impertinent; das heißt, immerhin weniger beleidigend als einer, der seine Impertinenz vor dem Spiegel einstudiert hat. Das dunkelblonde, ergrauende Haar, die schwarzen Brauen, der breite Bart und die großen Augen verliehen ihm nicht nur nichts Charakteristisches, sondern, im Gegenteil, etwas Allgemeines, allen und jedem Ähnliches. So einer lacht gern und ist immer zum Lachen aufgelegt, aber aus irgendeinem Grunde wird man seiner Gesellschaft niemals froh. Die lachlustige Miene geht bei ihm unmittelbar in eine gravitätische über, die gravitätische in eine drollige oder vertraulich zuzwinkernde, aber all das geschieht fragmentarisch und unverbindlich … Übrigens ist es sinnlos, ihn im voraus zu schildern. Diesen Herrn habe ich im Laufe der Zeit wesentlich besser und näher kennengelernt und laufe deshalb Gefahr, ihn schon jetzt unwillkürlich ausführlicher zu beschreiben als damals, da er die Tür aufriß und das Zimmer betrat. Allerdings bin ich auch jetzt noch verlegen, über ihn etwas Exaktes und Definitives zu sagen, weil das Charakteristische bei solchen Menschen ihre Beliebigkeit, Fragwürdigkeit und das Fragmentarische ist.
    Er hatte sich noch nicht gesetzt, als es mir plötzlich dämmerte, er müßte Wassins Stiefvater sein, ein gewisser Herr Stjebelkow, von dem ich schon einiges gehört

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