Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
sowohl an Geist als auch an Charakter. Ich vermutete außerdem, daß er mich auch wegen der gestrigen Szene bei Dergatschow verachtete; das konnte auch nicht anders sein: Jefim – das ist die Menge, Jefim – das ist die Straße, und die verbeugt sich immer und ausschließlich vor dem Erfolg.
»Und Werssilow weiß nichts davon?« fragte er.
»Selbstverständlich nicht.«
»Und woher nimmst du dir das Recht, dich in seine Angelegenheiten einzumischen? Erstens. Und zweitens, was willst du damit beweisen?«
Ich hatte mit Einwänden gerechnet und erklärte ihm sofort, daß das gar nicht so dumm sei, wie er annehme. Erstens würde dem dreisten Fürsten bewiesen werden, daß es noch Menschen gebe, die einen Begriff von Ehre hätten, und dies auch in unserm Stand, und zweitens würde es für Werssilow beschämend und eine verdiente Lektion sein. Drittens, und das sei die Hauptsache, würde Werssilow, selbst wenn er im Recht wäre und, irgendwelchen eigenen Überzeugungen folgend, den Fürsten nicht gefordert und sich entschlossen hatte, die Ohrfeige hinzunehmen, in jedem Fall erkennen müssen, daß es eine Person gebe, die eine ihm zugefügte Beleidigung so heftig nachempfinde und bereit sei, sie als ihre eigene zu betrachten und jederzeit sogar ihr Leben für seine, Werssilows, Interessen hinzugeben … ungeachtet der bevorstehenden Trennung auf immer …
»Hör auf, schrei nicht so, die Tante mag das nicht. Sag mal, ist das nicht derselbe Fürst Sokolskij, mit dem Werssilow wegen der Erbschaft prozessiert? In diesem Fall wäre das eine vollkommen neue und originelle Methode, Prozesse zu gewinnen – man streckt den Gegner im Duell nieder.«
Ich erklärte ihm en toutes lettres , daß er dumm und unverschämt sei, und wenn sein höhnisches Lächeln immer breiter werde, so beweise das nichts anderes als seine Selbstzufriedenheit und Gewöhnlichkeit, da er wohl doch nicht annehmen könne, daß ich die den Prozeß betreffenden Bedenken nicht bereits in meinem Kopf gewälzt hätte, und zwar gleich von Anfang an, und daß sie keinesfalls im Alleinbesitz seiner überschlauen Rübe seien. Darauf informierte ich ihn, daß der Prozeß bereits gewonnen sei, daß er nicht gegen den Fürsten Sokolskij, sondern gegen die Fürsten Sokolskij geführt worden sei, so daß, wenn ein Fürst beim Duell niedergestreckt würde, die anderen übrigblieben, daß man aber zweifellos die Forderung zum Duell verschieben müsse (wiewohl die Fürsten auf eine Revision verzichten würden), aber einzig und allein aus Anstand. Nach dem Verstreichen der Appellationsfrist solle duelliert werden; daß ich ihn schon jetzt aufsuche, obwohl das Duell nicht ummittelbar bevorstehe, liege daran, daß ich vorsorgen wolle, da ich weder einen Sekundanten, noch andere Bekannte habe, aber mich zum vereinbarten Termin, falls Jefim sich weigere, um einen Ersatz bemühen müsse. Das sei es, was mich zu ihm geführt habe.
»Nun, du kannst ja dann kommen und reden, warum rennst du jetzt zehn Werst weit um nichts und wieder nichts.«
Er erhob sich und griff nach seiner Mütze.
»Aber tust du es dann?«
»Nein, auch dann tue ich es nicht, versteht sich.«
»Warum nicht?«
»Schon allein deswegen nicht, weil du, wenn ich jetzt für später zusage, während der ganzen Appellationsfrist täglich zu mir gelaufen kommst. Und vor allem, weil das alles Quatsch ist, nichts weiter. Und warum sollte ich deinetwegen meine Karriere riskieren? Was ist, wenn der Fürst mich plötzlich fragt: ›Wer hat Sie beauftragt?‹ – ›Dolgorukij.‹ – ›Und was geht einen Dolgorukij ein Werssilow an?‹ Soll ich ihm dann deinen Stammbaum erklären? Der wird sich doch vor Lachen den Bauch halten!«
»Dann hau ihm doch in die Fresse!«
»Nun, das wäre ein schöner Traum.«
»Du kneifst? Du bist doch ein Riese; du warst der Stärkste im Gymnasium.«
»Ich kneife, natürlich kneife ich. Der Fürst wird sich übrigens schon deswegen nicht schlagen, weil man sich nur mit Gleichgestellten duelliert.«
»Ich bin aber der Bildung nach auch ein Gentleman. Ich habe die Rechte, ich bin seinesgleichen … im Gegenteil, er ist mir nicht ebenbürtig.«
»Nein, du bist ein Kleiner.«
»Was heißt Kleiner?«
»Einfach ein Kleiner; wir beide sind klein, und der ist groß.«
»Du Idiot! Ich kann schon seit einem Jahr nach dem Gesetz heiraten.«
»Dann heirate doch. Du bleibst aber trotzdem ein Hosensch …; du wächst ja noch!«
Ich begriff natürlich, daß er sich über mich
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