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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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alles geschah wie von selbst, im höchsten Grade unwillkürlich.
    Als ich im Schlafzimmer war und gegen das Bett stolperte, bemerkte ich sofort, daß eine Tür aus dem Schlafzimmer in die Küche führte, folglich einen rettenden Fluchtweg bot, aber – o Schreck! – diese Tür war abgeschlossen, und im Schlüsselloch steckte kein Schlüssel. Voller Verzweiflung sank ich auf das Bett; mir wurde ganz klar, daß ich sie jetzt belauschen mußte, und schon nach dem Ton erriet ich, daß das Gespräch vertraulich und heikel war. Oh, natürlich, ein Ehrenmann müßte sich erheben, sogar jetzt noch, hervortreten und laut sagen: »Ich bin hier, warten Sie!« und, ungeachtet seiner lächerlichen Lage, an ihnen vorbei hinausgehen. Aber ich erhob mich nicht und trat nicht hervor; ich traute mich nicht und habe auf die gemeinste Weise gekniffen.
    »Katerina Nikolajewna, meine Liebe, Sie machen mir großen Kummer«, flehte Tatjana Pawlowna, »beruhigen Sie sich ein für allemal, so etwas paßt überhaupt nicht zu Ihrem Charakter. Überall, wo immer Sie sind, ist auch Freude, aber jetzt plötzlich … Wenigstens mir, denke ich, vertrauen Sie immer noch: Sie wissen doch, wie sehr ich Ihnen ergeben bin. Kein bißchen weniger als Andrej Petrowitsch, dem ich in ewiger Ergebenheit anhänge, woraus ich kein Geheimnis mache … Vertrauen Sie mir, ich schwöre es Ihnen bei meiner Ehre, dieses Dokument ist überhaupt nicht in seinen Händen, vielleicht auch nicht in denen irgendeines anderen; er ist einer solchen Hinterlist gar nicht fähig, und Sie versündigen sich, wenn Sie ihn verdächtigen. Sie beide haben sich diese Feindschaft nur ausgedacht …«
    »Das Dokument existiert, und er ist zu allem fähig. Wie also, ich komme gestern an, und wer begegnet mir als erster – ce petit espion , den er dem Fürsten aufgedrängt hat.«
    »Ach was, ce petit espion! Erstens ist er gar kein espion, denn ich war es, ich, die darauf bestanden hat, ihn beim Fürsten unterzubringen, sonst wäre er in Moskau übergeschnappt oder verhungert – so hat man ihn von dort empfohlen; vor allem ist dieser ungehobelte Junge einfach ein kleiner Narr, und der soll ein Spion sein?«
    »Ja, er mag ein kleiner Narr sein, was ihn übrigens nicht daran hindern muß, ein Schurke zu werden. Ich war zu sehr verärgert, sonst hätte ich mich gestern totgelacht: Er wurde blaß, eilte herzu, ein Kratzfuß nach dem anderen, parlierte Französisch. Und in Moskau beteuerte mir Marja Iwanowna, er sei ein Genie. Dieser unglückselige Brief ist unversehrt und befindet sich irgendwo an der gefährlichsten Stelle – das habe ich vor allem am Gesicht dieser Marja Iwanowna abgelesen.«
    »Aber meine Allerschönste! Sie sagen doch selbst, daß sie nichts mehr hat!«
    »Das ist es ja, daß sie noch etwas hat: Sie lügt einfach und ist, sage ich Ihnen, eine große Meisterin im Lügen! Bevor ich nach Moskau kam, hatte ich immer noch gehofft, daß dort keinerlei Papiere zurückgeblieben wären, aber jetzt, jetzt …«
    »Ach, meine Liebe, ganz im Gegenteil, sie soll ein gütiges und verständiges Wesen sein, der Verstorbene hat sie von allen seinen Nichten am höchsten geschätzt. Freilich, ich kenne sie nicht so gut, aber Sie hätten sie bezaubern sollen, Sie, meine Allerschönste! Es kostet Sie doch nicht das Geringste, jemand für sich einzunehmen, ich bin schließlich eine alte Frau – und habe mich trotzdem in Sie verliebt und möchte Sie am liebsten auf der Stelle abküssen … Nun, es hätte Sie doch keine große Mühe gekostet, sie zu bezaubern!«
    »Ich wollte sie bezaubern, Tatjana Pawlowna, ich habe es versucht, sie ist sogar in höchstes Entzücken geraten, aber sie ist auch nicht dumm … Nein, sie ist ein Charakter, und zwar ein ganz besonderer, ein Moskauer Charakter … Und stellen Sie sich vor, sie empfahl mir, mich an einen Hiesigen zu wenden, namens Kraft, einen ehemaligen Mitarbeiter von Andronikow, vielleicht, sagte sie, könnte der etwas wissen. Von diesem Kraft habe ich schon einmal gehört und kann mich sogar flüchtig an ihn erinnern; aber als sie mir diesen Kraft erwähnte, da war ich sofort überzeugt, daß sie keineswegs ahnungslos ist, sondern daß sie lügt und alles weiß.«
    »Aber warum, warum? Vielleicht sollte man sich doch bei ihm erkundigen! Dieser Deutsche, dieser Kraft, ist kein Schwätzer, und ich weiß, ein grundehrlicher Mann – wirklich! Man sollte ihn fragen! Nur ist er augenblicklich, glaube ich, nicht in

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