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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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von meiner Hände Arbeit leben. Der Großmütige opfert sogar sein Leben, wenn es sein muß; Kraft hat sich erschossen, Kraft, um einer Idee willen, stellen Sie sich vor, ein junger Mensch, zu manchen Hoffnungen berechtigt … Hierher, hierher, bitte! Wir bewohnen das Hinterhaus. Aber schon in der Bibel verlassen die Kinder ihre Väter und gründen ihr eigenes Nest … Wenn die Idee einen mitreißt … wenn eine Idee da ist! Die Idee ist die Hauptsache, in der Idee liegt alles …«
    In dieser Art redete ich auf sie ein, die ganze Zeit, während wir zu uns hinaufgingen. Dem Leser fällt wahrscheinlich auf, daß ich mich keineswegs schone und mir jedesmal das treffendste Zeugnis ausstelle: Ich will lernen, die Wahrheit zu sagen. Werssilow war zu Hause. Ich trat ein, ohne abzulegen, sie ebenfalls. Sie war erschreckend dürftig gekleidet: Über dem dunklen, armseligen Kleid flatterte irgendein Fetzen, der ein Cape oder eine Mantille darstellen sollte. Auf dem Kopf saß ein altes, verschossenes Matrosenmützchen, das keineswegs kleidsam war. Als wir das Wohnzimmer betraten, saß meine Mutter mit einer Handarbeit auf ihrem üblichen Platz, und meine Schwester, die aus ihrem Zimmer dazugekommen war, stand in der Tür. Werssilow, der nach seiner Gewohnheit müßig dabeisaß, erhob sich uns entgegen. Er fixierte mich mit einem strengen, fragenden Blick.
    »Ich habe damit nichts zu tun«, beeilte ich mich zu erklären und trat zur Seite, »ich habe diese Person erst vor dem Tor getroffen; sie hat nach Ihnen gesucht, und kein Mensch konnte ihr helfen. Aber ich bin in meiner eigenen Angelegenheit hier, die Ihnen darzustellen ich das Vergnügen haben werde, aber erst nach der Dame.«
    Dennoch fuhr Werssilow fort, mich auch weiterhin neugierig zu mustern.
    »Erlauben Sie«, begann das junge Mädchen ungeduldig. Werssilow wandte sich ihr zu. »Ich habe lange überlegt, wie Sie dazu gekommen sind, gestern bei mir Geld zurückzulassen … Ich … Mit einem Wort … Hier ist Ihr Geld!« Sie kreischte beinahe, genau wie vorhin, und warf ein Päckchen Banknoten auf den Tisch. »Ich habe Sie erst durch das Adreßbüro gefunden, sonst hätte ich das Geld schon früher gebracht. Hören Sie!« wandte sie sich plötzlich an meine Mutter, die kreideweiß geworden war. »Ich will Sie nicht kränken, Sie sehen ehrlich aus, und vielleicht ist das sogar Ihre Tochter. Ich weiß nicht, ob Sie seine Frau sind, aber Sie sollen wissen, daß dieser Herr Zeitungsannoncen ausschneidet, die Gouvernanten und Lehrerinnen mit ihrem letzten Geld aufgeben, und diese Unglücklichen aufsucht, um sein ehrloses Geschäft mit ihnen zu machen und sie durch Geld ins Unglück zu stürzen. Ich begreife nicht, wie ich gestern von ihm Geld annehmen konnte! Er sah so aufrichtig aus! … Fort! Kein Wort mehr! Sie sind gemein, mein Herr! Selbst wenn Sie auch mit ehrlichen Absichten gekommen sein sollten, verzichte ich auf Ihre Almosen. Kein Wort, kein einziges Wort mehr! Oh, ich bin so froh, daß ich Sie jetzt vor Ihren Frauen bloßgestellt habe. Seien Sie verflucht!«
    Sie stürzte davon, verharrte aber auf der Schwelle einen Augenblick, nur um hinauszuschreien:
    »Sie sollen ja eine Erbschaft gemacht haben!«
    Dann verschwand sie wie ein Schatten. Ich wiederhole noch einmal: Diese Frau war außer sich. Werssilow war tief betroffen; er stand da, in Gedanken versunken, als überlege er etwas; endlich wandte er sich plötzlich zu mir um:
    »Du kennst sie gar nicht?«
    »Ich war zufällig dabei, wie sie im Korridor bei Wassin tobte, kreischte und Sie verfluchte; aber ich habe nicht mit ihr gesprochen und bin völlig ahnungslos, und vorhin begegnete ich ihr an unserm Tor. Könnte sie nicht die Lehrerin von gestern sein, die ›Privatstunden in Arithmetik‹ gibt?«
    »Das ist sie. Einmal im Leben wollte ich ein gutes Werk tun und … Übrigens, was hast du da?«
    »Hier ist der Brief«, antwortete ich. »Eine Erklärung halte ich für überflüssig: Er kommt über Kraft, und der hat ihn von dem verstorbenen Andronikow erhalten. Sie werden aus dem Inhalt alles erfahren. Ich möchte hinzufügen, daß keine Seele auf der ganzen Welt von diesem Brief weiß, außer mir, denn Kraft hat sich erschossen, gleich nachdem er mir gestern diesen Brief ausgehändigt hatte und ich gegangen war …«
    Während ich redete, atemlos und überstürzt, griff er nach dem Brief, behielt ihn in einigem Abstand in der Linken und hörte mir aufmerksam zu. Als ich Krafts Selbstmord

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