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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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müßte man nachgehen!« murmelte er gedankenverloren.
    »Aber was fiel Ihnen ein, mich aus dem Zimmer zu zerren? Wer ist das überhaupt? Wer ist diese Frau? Sie packten mich bei der Schulter und führten mich ihr vor. Was soll das bedeuten?«
    »Weiß der Teufel, irgendeine, der man die Unschuld geraubt hat … Eine ›sich häufig wiederholende Ausnahme‹, folgen Sie mir?«
    Dabei stieß er mit seinem Zeigefinger gegen meine Brust.
    »Zum Teufel!« Ich schlug heftig seinen Finger zur Seite.
    Aber plötzlich, völlig unerwartet, brach er in ein leises, kaum hörbares, langes, belustigtes Lachen aus. Schließlich setzte er seinen Hut auf und bemerkte mit einer augenblicklich veränderten, bereits finsteren Miene, stirnrunzelnd:
    »Aber die Wirtin sollte man aufklären … Die beiden sollte man vor die Tür setzen, das ist es, und zwar so schnell wie möglich, sonst würden sie hier … Sie werden es sehen! Denken Sie an meine Worte, Sie werden es sehen! Ach was, der Teufel soll sie holen!« Plötzlich hatte sich seine Miene wieder aufgehellt. »Sie werden doch auf Grischa warten?«
    »Nein, das werde ich nicht«, antwortete ich entschieden.
    »Nun, ist auch egal …«
    Und er wandte sich ab, ohne auch nur einen Laut hinzuzufügen, verließ die Wohnung und stieg die Treppe hinunter, ohne die offensichtlich Erklärungen und Neuigkeiten heischende Zimmervermieterin auch nur eines Blickes zu würdigen. Ich nahm ebenfalls meinen Hut, bat die Wirtin auszurichten, daß ich, Dolgorukij, dagewesen sei, und lief die Treppe hinunter.
    III
    Ich hatte nur Zeit verloren. Sobald ich draußen war, machte ich mich sofort auf Zimmersuche. Aber ich war zerstreut, streifte stundenlang durch die Straßen, sah mir zwar fünf oder sechs möblierte Zimmer an, bin aber überzeugt, daß ich an zwanzig vorbeigegangen bin, weil ich sie übersah. Zu meinem noch größeren Verdruß hatte ich mir nicht vorgestellt, daß es so schwer sein würde, ein Zimmer zu mieten. Überall gab es Zimmer wie das von Wassin, sogar bedeutend schlechtere, aber sehr teure, das heißt weit über meine Verhältnisse. Ich fragte auch ohne Umstände nach einem Winkel, in dem man sich eben noch umdrehen könne, worauf man mich verächtlich belehrte, daß ich in diesem Fall »in einen Winkel« gehen müsse. Außerdem traf ich überall auf eine Menge sonderbarer Mieter, mit denen ich allein schon wegen ihres Aussehens niemals als Nachbar hätte leben mögen; ich hätte es mir sogar einiges kosten lassen, nur um ihre Nachbarschaft zu vermeiden. Lauter irgendwelche Herrschaften ohne Rock, nur in Weste, mit zerzausten Bärten, ungezwungen und aufdringlich. In einem winzigen Zimmer saßen ihrer zehn bei Kartenspiel und Bier, und mir wurde das Nachbarzimmer angeboten. In anderen Fällen antwortete ich auf die Fragen der Vermieter so abwegig, daß sie mich erstaunt musterten, und in einer Wohnung endete es sogar mit einem Streit. Übrigens lohnt es sich nicht, all diese Bagatellen zu beschreiben. Ich will nur soviel sagen, daß ich, als es schon dämmerte, todmüde in einer Garküche etwas gegessen habe. Mein Entschluß stand fest, daß ich sofort hingehen, eigenhändig den Brief über die Erbschaft (unter vier Augen und ohne jeden Kommentar) überreichen, meine Sachen oben in den Koffer und ein Bündel stopfen und schon in dieser Nacht umziehen würde, und sei es in ein Gasthaus. Am Ende des Obuchowskij-Prospekts, beim Triumfalnyj-Tor, gab es, wie ich wußte, Herbergen, wo man ein kleines Einzelzimmer für dreißig Kopeken die Nacht bekommen konnte; ich hatte mich entschlossen, das Geld für eine einzige Nacht zu opfern, nur, um nicht bei Werssilow übernachten zu müssen. Und da, als ich schon beim Technologischen Institut war, hatte ich plötzlich den Einfall, Tatjana Pawlowna aufzusuchen, die ja hier, gegenüber dem Technologischen, wohnte. Der Vorwand für diesen Besuch war eigentlich immer noch der Brief über die Erbschaft, aber der unwiderstehliche Impuls dazu hatte andere Ursachen, die ich übrigens auch heute noch nicht zu durchschauen vermag: Es war die Konfusion in meinem Kopf von »einem Säugling«, von »Ausnahmen, die in allgemeine Regeln übergehen«, vielleicht das Bedürfnis, zu erzählen oder auch wichtigzutun, zu streiten oder sogar zu weinen – ich weiß es nicht. Jedenfalls stieg ich die Treppe zu Tatjana Pawlowna hinauf. Ich war bis jetzt nur ein einziges Mal bei ihr gewesen, gleich nach meiner Ankunft aus Moskau, im Auftrag meiner Mutter, und

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