Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
ausgesprochen galant auftreten. Schon ein paarmal erschallte sein lautes Lachen, gewiß unangebracht, weil neben seiner Stimme, sie gelegentlich sogar übertönend, die keineswegs fröhlichen Stimmen der beiden Frauen zu hören waren, vorzüglich die jener jungen, die vorhin gekreischt hatte: Sie sprach viel, nervös, sehr schnell, offensichtlich anklagend und Hilfe, Gericht und Richter suchend. Aber Stjebelkow gab nicht auf, erhob seine Stimme mehr und mehr und lachte immer öfter; solche Menschen können nicht zuhören. Ich erhob mich vom Diwan, weil mir das Lauschen peinlich war, und wechselte auf meinen alten Platz, den Rohrstuhl vor dem Fenster, hinüber. Ich war überzeugt, daß Wassin von diesem Herrn gar nichts hielt, aber sofort, sollte ich diese Überzeugung äußern, mit Ernst und Nachdruck für ihn eintreten und mich belehren würde, er sei »ein Praktiker, ein moderner, geschäftstüchtiger Mann, über den man unmöglich von unserem allgemeinen und abstrakten Standpunkt aus urteilen kann«. Ich weiß noch, daß ich mich in diesem Moment moralisch irgendwie zerschlagen fühlte, daß mein Herz so kräftig klopfte, als erwartete ich irgend etwas. Es vergingen etwa zehn Minuten, als plötzlich, auf dem Höhepunkt eines dröhnenden Lachanfalls, jemand ebenso wie vorhin vom Stuhl aufsprang; darauf folgten Schreie der beiden Frauen, das Aufspringen Stjebelkows, der sich nun mit einer völlig veränderten Stimme zu rechtfertigen und gleichsam zu flehen schien, man möge ihn ausreden lassen … Aber er wurde nicht gehört; man hörte das zornige Geschrei: »Hinaus! Sie sind ein Schurke! Ein schamloser Schurke!« Mit einem Wort, es war klar, daß Stjebelkow vor die Tür gesetzt wurde. Ich öffnete die Tür, gerade in dem Augenblick, als er sich mit einem Sprung in den Korridor vor den Nachbarinnen rettete, die ihn wortwörtlich mit Gewalt hinausstießen. Als er mich erblickte, brüllte er plötzlich, indem er auf mich zeigte:
»Hier, der Sohn Werssilows! Wenn Sie mir nicht glauben, hier steht sein Sohn, sein eigener Sohn! Hier, bitte sehr!« Und er packte mich gebieterisch bei der Hand.
»Das ist sein Sohn, sein leiblicher Sohn«, wiederholte er und zerrte mich vor die Damen, allerdings ohne weitere Erklärungen.
Die junge Frau stand im Korridor, die ältere einen Schritt hinter ihm in der Tür. Mir ist nur im Gedächtnis geblieben, daß dieses arme Mädchen gar nicht häßlich war, etwa zwanzigjährig, aber hager, kränklichen Aussehens, leicht rothaarig und im Gesicht ein wenig an meine Schwester erinnernd; dieser Zug fiel mir augenblicklich auf und prägte sich meinem Gedächtnis ein; aber Lisa war noch nie vor Wut so außer sich gewesen und konnte auch nie vor Wut so außer sich geraten wie diese junge Person, die gerade vor mir stand: Ihre Lippen waren weiß, ihre hellgrauen Augen funkelten, sie zitterte am ganzen Körper vor Entrüstung. Ich erinnere mich ebenfalls an die ausnehmend dumme und unwürdige Lage, in der ich mich befand, weil mir absolut nichts einfiel, was ich hätte sagen können, und das alles wegen dieses unverschämten Kerls.
»Was heißt das schon, sein Sohn! Wenn er zu Ihnen hält, dann ist er ein Lump! Wenn Sie Werssilows Sohn sind«, wandte sie sich plötzlich an mich, »dann richten Sie Ihrem Vater aus von mir, daß er ein Lump ist, ein niedriger, schamloser Mensch, und daß ich sein Geld nicht haben will … Nehmen Sie es, nehmen Sie, nehmen Sie! Geben Sie ihm sofort dieses Geld zurück!«
Sie riß hastig aus ihrer Rocktasche einige Geldscheine, aber die Ältere (das heißt, ihre Mutter, wie sich später herausstellte) packte sie rasch am Arm:
»Olja, aber vielleicht ist das gar nicht wahr, vielleicht sind der Herr gar nicht sein Sohn!«
Olja warf einen schnellen Blick auf sie, überlegte, sah mich noch einmal verächtlich an, wandte sich ab und machte einen Schritt in das Zimmer zurück. Aber bevor sie die Tür zuschlug, noch auf der Schwelle, schrie sie wieder außer sich Stjebelkow an.
»Hinaus!«
Sie stampfte sogar mit dem Fuß auf. Darauf fiel die Tür ins Schloß und wurde diesmal von innen verriegelt; Stjebelkow, der mich immer noch an der Schulter gepackt hielt, hob den Zeigefinger und verzog den Mund zu einem langen, nachdenklichen Lächeln, ohne seinen fragenden Blick von mir abzuwenden.
»Ich finde Ihr Verhalten mir gegenüber lächerlich und unwürdig«, stieß ich zornig hervor.
Aber er hörte mir gar nicht zu, obwohl er mich immer noch anstarrte.
»Dem
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