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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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drängte. »Nehmen Sie sein Geschwätz nicht ernst, Katerina Nikolajewna: Ich habe Ihnen doch gesagt, daß man ihn dort für übergeschnappt gehalten hat!«
    »Dort? Übergeschnappt? Wer war das? Dort? Egal, es reicht. Katerina Nikolajewna, ich schwöre Ihnen bei allem, was mir heilig ist, unser Gespräch und alles, was ich gehört habe, bleibt unter uns … Was kann ich dafür, daß ich von Ihrem Geheimnis erfahren habe? Zumal ich meine Tätigkeit bei Ihrem Vater morgen kündigen werde, so daß Sie sich wegen des Dokuments, nach dem Sie suchen, keine Sorgen zu machen brauchen!«
    »Wie war das? … Von welchem Dokument reden Sie?« Katerina Nikolajewna war sichtlich verwirrt, sogar so sehr, daß sie erblaßte. Aber vielleicht schien es mir auch nur so. Ich verstand, daß ich schon zuviel gesagt hatte.
    Ich eilte hinaus; sie folgten mir beide mit den Augen, und aus ihren Blicken sprach höchste Verwunderung. Mit einem Wort, ich hatte ihnen ein Rätsel aufgegeben …

Neuntes Kapitel
    I
    Ich lief nach Hause und war – sonderbarerweise – mit mir höchst zufrieden. Natürlich, so spricht man nicht mit Frauen, und noch dazu mit solchen Frauen – besser gesagt mit einer solchen Frau, weil ich Tatjana Pawlowna nicht mitrechnete. Vielleicht darf man einer Frau solcher Kategorie unter keinen Umständen sagen: »Ich pfeife auf Ihre Intrigen!« Aber ich hatte so geredet und war gerade damit besonders zufrieden. Von anderem ganz zu schweigen, war ich wenigstens davon überzeugt, daß ich mit diesem Ton alle Komik meiner damaligen Lage ausgelöscht hatte. Aber ich hatte gar keine Zeit, darüber nachzudenken: Mir ging es nur um Kraft. Nicht, daß der Gedanke an ihn mich gequält hätte, aber dennoch war ich bis in die tiefste Seele erschüttert; sogar so sehr, daß das übliche menschliche Gefühl eines gewissen Behagens angesichts eines fremden Unglücks, das heißt, wenn sich jemand ein Bein bricht, an seiner Ehre Schaden nimmt, ein geliebtes Wesen verliert und ähnliches, daß sogar dieses übliche Gefühl einer niederträchtigen Befriedigung in mir spurlos einer anderen, selten ungeteilten Empfindung wich, nämlich der Trauer, dem Bedauern um Kraft, das heißt, ich weiß nicht einmal, ob es ein Bedauern war, aber ein starkes und gutes Gefühl. Und auch damit war ich zufrieden … Erstaunlich, wie viele nicht zur Sache gehörende Gedanken in Sekundenschnelle im Kopf auftauchen, gerade wenn man durch irgendeine ungeheure Nachricht von Grund auf erschüttert ist, durch eine Nachricht, die alle anderen Gefühle, wie man meint, überwältigen und sämtliche Nebengedanken, besonders die Lappalien, verdrängen müßte; aber gerade diese Lappalien lassen sich nicht verdrängen. Ich weiß noch, wie mich nach und nach ein ziemlich empfindliches nervöses Zittern erfaßte, das einige Minuten anhielt, ja sogar die ganze Zeit, während ich zu Hause war und mit Werssilow sprach.
    Diese Aussprache verlief unter eigentümlichen und ungewöhnlichen Umständen. Ich habe bereits erwähnt, daß wir in einem separaten Hinterhaus wohnten; unsere Wohnung trug das Nummernschild Dreizehn. Noch vor dem Hoftor hörte ich eine Frauenstimme, die laut, ungeduldig und gereizt fragte: »Wo ist die Wohnung Nummer dreizehn?« So fragte eine Dame in der Nähe des Hoftors, nachdem sie die Tür eines Kramladens aufgestoßen hatte; aber dort hatte man ihr wohl keine Auskunft gegeben oder sie sogar hinausgewiesen, und nun ging sie die Stufen vor dem Eingang hinunter, erregt und erbost.
    »Aber wo steckt denn hier der Hausknecht?« rief sie und stampfte mit dem Fuß auf. Ich hatte diese Stimme längst erkannt.
    »Ich gehe in die Wohnung Nummer dreizehn«, sagte ich, auf sie zugehend. »Wen suchen Sie?«
    »Ich suche schon eine ganze Stunde den Hausknecht. Ich habe alle nach ihm gefragt und bin treppauf, treppab gelaufen.«
    »Es ist im Hof. Erkennen Sie mich nicht?«
    Aber sie hatte mich schon erkannt.
    »Sie möchten zu Werssilow, Sie haben etwas mit ihm zu klären, und ich auch«, fuhr ich fort. »Ich bin gekommen, um mich für immer von ihm zu verabschieden. Gehen wir.«
    »Sind Sie sein Sohn?«
    »Das hat nichts zu bedeuten. Übrigens, nehmen wir an, ich sei sein Sohn, obwohl ich ein Dolgorukij bin, ein Bastard. Dieser Herr hat eine Menge unehelicher Kinder. Wenn Gewissen und Ehre es fordern, verläßt auch ein leiblicher Sohn das Haus. Das steht schon in der Bibel. Außerdem hat er eine Erbschaft gemacht, ich aber will nichts damit zu tun haben und

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