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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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verkündete, beobachtete ich besonders aufmerksam sein Gesicht, um einen Effekt nicht zu übersehen. Und was geschah? Die Nachricht machte nicht den geringsten Eindruck auf ihn: Er zog nicht einmal die Brauen hoch! Im Gegenteil, als er sah, daß ich zu Ende gesprochen hatte, griff er nach seinem Lorgnon, das an einem schwarzen Band hing und ihn stets begleitete, hielt den Brief in die Höhe ans Licht, warf einen Blick auf die Unterschrift und begann, ihn mit einiger Mühe zu entziffern. Ich kann es kaum in Worte fassen, wie sehr mich diese hochmütige Gefühllosigkeit beleidigte. Er mußte Kraft sehr gut gekannt haben; außerdem war es eine immerhin ungewöhnliche Nachricht! Schließlich war meine Neugier auf den von ihr hervorgerufenen Effekt nur zu natürlich. Nachdem ich eine halbe Minute gewartet hatte und auch wußte, daß der Brief lang war, drehte ich mich um und verließ das Zimmer. Mein Koffer war längst gepackt. Ich hatte nur noch einige Dinge in das Bündel zu stecken. Ich dachte an meine Mutter und daran, daß ich sie nicht einmal begrüßt hatte. Nach zehn Minuten, als ich mit allem fertig war und schon gehen wollte, um einen Droschkenkutscher zu holen, trat meine Schwester in mein Mansardenstübchen.
    »Da, Mama schickt dir deine sechzig Rubel und bittet dich noch einmal um Entschuldigung, daß sie Andrej Petrowitsch davon erzählt hat, und noch zwanzig Rubel dazu. Du hast ihr gestern fünfzig Rubel Haushaltsgeld gegeben, Mama sagt, es sei unmöglich, von dir mehr als dreißig anzunehmen, weil dein Anteil weniger als fünfzig sei. Nun schickt sie dir zwanzig Rubel Ausgeld zurück.«
    »Vielen Dank, wenn sie die Wahrheit sagt. Leb wohl, Schwester! Auf geht’s!«
    »Wohin willst du jetzt?«
    »Zunächst in ein Gasthaus, nur nicht unter diesem Dach über Nacht bleiben. Sag Mama, daß ich sie liebe.«
    »Sie weiß es. Sie weiß, daß du auch Andrej Petrowitsch liebst. Schämst du dich nicht, daß du diese Unglückliche zu uns gebracht hast?«
    »Ich schwöre dir, ich war es nicht, ich habe sie vor dem Tor getroffen.«
    »Nein, du hast sie hierhergebracht.«
    »Ich versichere dir …«
    »Denk nach, frag dich selber, und du wirst sehen, daß auch du eine Ursache warst.«
    »Ich habe mich nur sehr gefreut, daß Werssilow blamiert ist. Stell dir vor, er hat ein Kind, einen Säugling von Lidija Achmakowa. Übrigens, was sag ich dir da …«
    »Er? Er soll ein Kind haben? Aber das ist gar nicht sein Kind! Wie kommst du zu dieser Lüge?«
    »Na, woher willst du das wissen?«
    »Ausgerechnet ich soll das nicht wissen! Ich habe mich ja um dieses Kind gekümmert, in Luga. Hör, Bruder: Ich sehe schon seit langem, daß du von nichts eine Ahnung hast, indessen beleidigst du Andrej Petrowitsch und auch unsere Mutter.«
    »Wenn er unschuldig ist, dann mache ich mich schuldig. Das ist alles. Aber euch liebe ich nicht weniger. Warum errötest du, Schwester? Und jetzt noch mehr. So weit, so gut. Aber diesen Hampelmann von Fürsten werde ich doch zum Duell fordern, weil er Werssilow in Ems geohrfeigt hat. Und wenn Werssilow in der Geschichte mit der Achmakowa unschuldig ist, dann erst recht.«
    »Bruder, besinn dich, was redest du!«
    »Zum Glück ist der Prozeß bereits entschieden … So was! Jetzt bist du auf einmal kreidebleich!«
    »Aber der Fürst wird deine Forderung gar nicht annehmen«, sagte Lisa und lächelte durch ihren Schrecken hindurch ein blasses Lächeln.
    »Dann werde ich ihn öffentlich blamieren. Was hast du, Lisa?«
    Sie wurde so blaß, daß sie sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte und auf das Sofa sank.
    »Lisa!« hörte man von unten die Mutter rufen. Sie faßte sich und stand auf. Dabei lächelte sie mir liebevoll zu.
    »Bruder, hör auf mit diesen Dummheiten und warte, bis du mehr erfahren wirst: Es ist schrecklich, wie wenig du weißt.«
    »Ich werde nicht vergessen, Lisa, wie blaß du warst, als du hörtest, daß ich mich duellieren will!«
    »Ja, ja, auch das darfst du nicht vergessen!« Sie lächelte zum Abschied noch einmal und ging die Treppe hinunter.
    Ich rief eine Droschke und holte mit Hilfe des Kutschers mein Gepäck aus der Wohnung. Niemand aus der Familie widersprach mir oder versuchte, mich zurückzuhalten. Ich verzichtete darauf, mich von meiner Mutter zu verabschieden, um Werssilow nicht zu begegnen. Ich saß schon in der Droschke, als mir plötzlich ein neuer Einfall kam.
    »An die Fontanka, zur Semjonowskij-Brücke«, befahl ich und fuhr, für mich selbst unerwartet,

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