Ein guter Blick fürs Böse
der ermittelnde Beamte in diesem Fall!«
»Ich flirte nicht, Sir! Das würde ich niemals wagen! Lizzie würde mich umbringen!«
»Und? Hat Victorine ihren Ehemann umgebracht?«, fragte Dunn grimmig.
»Ob sie ihm mit einem stumpfen Gegenstand den Schädel eingeschlagen hat? Nein, Sir, das kann ich mir nicht vorstellen. Es wäre zu primitiv. Ich kann mir vorstellen, dass sie ihn vergiftet hat. Aber das ist nicht die Art und Weise, wie der arme Tapley zu Tode gekommen ist.«
»Weil er vor ihr weggelaufen ist, bevor sie ihn vergiften konnte?«, fragte Dunn.
»Das wissen wir nicht, Sir.«
Dunn blickte nachdenklich drein. »Wie ich bereits sagte, sie ist eine sehr gerissene Person.«
Dabei hatte ich geglaubt, derjenige gewesen zu sein, der dies gesagt hatte.
Dunn strich sich mit den Fingern über das kurz geschorene Haar, so dass es ihm zu Berge stand wie die Borsten eines Kaminbesens. »Ich werde ebenfalls zu dieser Beerdigung gehen, Ross«, verkündete er sodann.
»Das freut mich zu hören, Sir! Es gibt ein paar Dinge, was diese Beerdigung angeht, die ich gerne mit Ihnen besprechen würde. Wir haben sämtliche Parteien auf engem Raum beisammen, Sir, an einem Ort. Ich denke, es könnte ein Tag der Abrechnung werden.«
KAPITEL SIEBZEHN
Elizabeth Martin Ross
Der Tag des Begräbnisses dämmerte feucht und kühl herauf, als hätte der kürzlich zu Ende gegangene Winter beschlossen, uns noch einmal einen letzten schnellen Überraschungsbesuch abzustatten, gerade als wir glaubten, für eine Weile nichts mehr von ihm zu sehen. Über Nacht war vom Fluss her Nebel aufgezogen und trieb in dichten Schwaden durch die Straßen wie der Rauch eines in der Nähe schwelenden Feuers. Er war nicht ganz so schlimm wie der spezielle Londoner Nebel, jene dicke braune Suppe, die die Luft verpestet und Fußgänger zum Husten und Ersticken bringt und so undurchdringlich ist, dass Kutschen und Pferdewagen miteinander kollidieren. Doch er war immer noch schlimm genug. Was die Luft in unserer und den umliegenden Straßen noch verschlimmerte, war der Rauch aus den Dampflokomotiven des nahegelegenen Bahnhofs, der dicht über der Erde festhing. Bis der Tag vorüber war und wir wieder zu Hause angekommen waren, rochen wir wahrscheinlich allesamt wie geräucherte Bücklinge.
»In der Gegend von Marylebone ist es bestimmt besser«, verkündete Ben optimistisch.
Mrs. Jameson begleitete uns. Sie hatte ihrem Wunsch Ausdruck verliehen, dabei zu sein, wenn ihr verstorbener Untermieter zur letzten Ruhe gelegt wurde. Wir drei quetschten uns in Wally Slaters vierrädrige Kutsche, die wir eigens zu diesem Zweck angemietet hatten, und bewegten uns quälend langsam nach Norden über den Fluss. Wally hatte sich, der Gelegenheit angemessen, einen schwarzen Schal um den Hut gebunden, und Nelson hatte schwarze Rosetten am Zaumzeug. Ben hatte eine schwarze Armbinde umgelegt, und ich trug die Garderobe, die ich zum letzten Mal zum Tod meines armen Vaters angezogen hatte. Die Kleidungsstücke hatten seit damals weggepackt in einer Kiste gelegen und dementsprechend gelitten, deswegen war ich in gewisser Weise froh um das schlechte Licht, das halbwegs half, die Falten und die gestopften Stellen in meinem Rock und der passenden Jacke zu verbergen. Die Witwe Jameson trug ihre übliche nüchterne Garderobe, jedoch kein Schwarz. Es war kein Brauch bei den Quäkern, informierte sie uns, sich für eine so traurige Gelegenheit herauszuputzen, und sei es in Schwarz.
»Die Trauer ist im Herzen, Mrs. Ross. Es tut mir ausgesprochen leid, was dem armen Mr. Tapley zugestoßen ist. Es fällt mir immer noch schwer zu begreifen, dass irgendein Halsabschneider sich Zutritt zu meinem Haus verschafft und den armen Mann in seinem eigenen Wohnzimmer von hinten totgeschlagen hat. Ich bete, dass er nun seinen Frieden hat und dass sein Angreifer für seine Tat büßen muss.«
Trotz Bens optimistischer Einschätzung war die Luft nicht viel besser, als wir endlich die St. Marylebone Church erreicht hatten. Wir warteten draußen unter vor Feuchtigkeit tropfenden Bäumen auf das Eintreffen des Leichenwagens mit dem Sarg, während die Kälte sich langsam in unsere Glieder schlich. Ich nutzte die Gelegenheit, um mich umzublicken und zu sehen, wer alles gekommen war oder noch kam. Ich erwartete keine große Menge. Superintendent Dunn war bereits vor uns eingetroffen. Die Familie war noch nicht da, und außer Ben und der Witwe Jameson und mir selbst hatte sich nur eine ältere Frau
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