Ein guter Blick fürs Böse
eines Werfers bei einem Kricketspiel nach mir. Ich duckte mich, und die Vase segelte über meinen Kopf hinweg.
Weiter rannte sie, und weiter rannte ich.
Durch das Bücken und Werfen hatte sie wertvolle Zeit verschwendet, und ich war bis auf wenige Meter herangekommen. Ich warf mich mit ausgestreckten Armen nach vorn und bekam ein Stück vom Stoff ihres Rockes zu fassen.
Sie drehte sich um, fauchte wütend und versuchte mich abzuschütteln, doch ich war nicht bereit, ohne Weiteres von meiner Beute abzulassen, nachdem ich sie endlich gepackt hatte. In diesem Moment stolperte sie über die Graniteinfassung eines Grabes und fiel auf die Knie. Ich warf mich auf sie und schlang die Arme um ihre Taille. Sie beschimpfte mich wütend auf Französisch, was Erinnerungen an meine Französischstunden aus längst vergangenen Tagen in mir weckte. Ich antwortete heftig in der gleichen Sprache.
Ich schätze, es überraschte sie so sehr, dass sie ihre Gegenwehr einstellte. Wir saßen beide auf dem Boden, erschöpft und atemlos. Meine Haube war heruntergefallen und hing an dünnen Bändchen um meinen Hals. Victorine lehnte mit dem Rücken an einem Grabstein. Ihr Atem ging abgehackt und stoßweise. Ihr modischer Pariser Hut mit den schwarzen Straußenfedern war ebenfalls heruntergefallen … zusammen mit den glänzenden schwarzen Haaren. Die kunstvolle Perücke lag auf dem Boden. Victorines eigenes Haar war kurz geschnitten und beinahe weiß. Es war eine alte Frau, die schwer atmend und immer noch Gift und Galle spuckend vor Wut vor mir saß.
Ben kam herbei, ebenfalls außer Atem. Auch er hatte seinen Hut verloren. »Ist alles in Ordnung, Lizzie?«, fragte er besorgt.
»Ja, alles bestens«, versicherte ich ihm. »Aber wie geht es Flora? Ist sie verletzt? Habt ihr den Kerl geschnappt, der sie angegriffen hat?«
»Flora ist mit dem Schrecken davongekommen. Sie hat sich ein wenig zurückfallen lassen und sagt, plötzlich wäre ein fremder Mann hinter einem Grabstein aufgetaucht, hätte sie angesprungen, ihr die Hand auf den Mund gedrückt und sie hinterrücks von unserer Gesellschaft weggezerrt. Sie biss ihn geistesgegenwärtig in die Hand, er lockerte seinen Griff, und es begann die Rauferei, die wir sahen. Leider haben wir ihn nicht schnappen können. Das Licht ist schlecht, und wir rannten mitten hinein in eine andere Beerdigungsgesellschaft. In dem sich anschließenden Durcheinander konnte er unerkannt entwischen.«
Ben wandte sich an Victorine, die immer noch an den Grabstein gelehnt am Boden saß. »Allerdings glaube ich, dass Sie sehr genau wissen, wer er ist, Madame. Es war Hector Mas, nicht wahr? Was hatte er vor? Wollte er Ihren Anspruch auf das Erbe vielleicht dadurch bekräftigen, dass er die andere Haupterbin aus der Gleichung entfernt?«
Victorine hatte ihre Fassung zurückgewonnen. Sie streckte eine Hand nach ihrer Perücke aus, setzte sie sich behutsam auf und drehte sich zu mir um. »Sitzt sie gerade?«, wollte sie wissen.
»Ja. Absolut gerade«, hörte ich mich sagen.
»Sie sprechen sehr gut Französisch«, sagte sie.
Ben stieß ein ungeduldiges Schnaufen aus. »So kommen Sie nicht davon, Madame! Sie werden nicht die Unschuld vom Lande spielen, als wäre nichts geschehen! Sie stehen unter Arrest. Sie haben zusammen mit Ihrem Komplizen Hector Mas versucht, Flora Tapley zu entführen, in der Absicht, ihr schweren Schaden zuzufügen. Außerdem stehen Sie im Verdacht der Verschwörung zum Mord an den Herren Thomas Tapley und Horatio Jenkins.«
»Monsieur Mas ist nach Frankreich zurückgekehrt«, sagte sie kalt. »Ich weiß nicht, wer dieser Mann war, der vor Ihnen weggelaufen ist. Wahrscheinlich irgendein dahergelaufener Tramp, der uns bestehlen wollte. Zu behaupten, ich hätte geplant, meinen armen Mann zu töten, ist durch und durch unwürdig! Es ist an den Haaren herbeigezogen! Selbstverständlich habe ich das nicht getan! Und was Jenkins angeht«, fuhr sie fort. »Jeder könnte ihn umgebracht haben!«
»Darüber unterhalten wir uns im Yard ausführlicher, Madame.«
Der weitere Verlauf hatte etwas Absurdes, denn der Beerdigungsgesellschaft blieb nichts anderes übrig, als mit dem Sonderzug nach London zurückzukehren, alle zusammen im gleichen Wagon wie schon auf dem Hinweg. Mit dem einzigen Unterschied, dass Victorine Tapley diesmal zwischen Ben und Superintendent Dunn saß und niemand in ihre Richtung sah mit Ausnahme des dicken John Bull. Hin und wieder stieß er ein leises »Beim Jupiter!« aus. Er
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