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Ein guter Blick fürs Böse

Ein guter Blick fürs Böse

Titel: Ein guter Blick fürs Böse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Granger
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schien hocherfreut, dass er eine Mordgeschichte zu erzählen hatte, wenn er wieder zu Hause war.
    Am Bahnhof trennten sich unsere Wege. Ben, der Superintendent und Victorine stiegen in eine Kutsche und fuhren zum Yard. Die Tapleys stiegen in ihre eigene Kutsche mit den goldenen Pferden, andere nahmen ebenfalls eine Droschke, und Mrs. Jameson und ich gingen das relativ kurze Stück bis in unsere Straße zu Fuß. Vor ihrer Haustür verabschiedeten wir uns.
    »Es ist wirklich eine merkwürdige Sache, Mrs. Ross«, sagte die Witwe Jameson. Es war die erste Bemerkung zu den Ereignissen auf dem Friedhof, die ich von irgendjemandem hörte (mit Ausnahme der »Beim Jupiter!»-Rufe des dicken Gentlemans in Reithosen und Gamaschen während der Rückfahrt).
    »Das ist wahr«, sagte ich. »Und wir kennen noch längst nicht die ganze Geschichte.«
    »In der Tat. In der Tat.« Sie schwieg für einen Moment. »Ist es wirklich möglich, dass diese französische Person mit diesem ungewöhnlichen Federhut die Witwe des armen Mr. Tapley ist?«, fragte sie schließlich.
    »Es scheint zumindest so«, antwortete ich.
    »Und dieser schicke Gentleman in dem prächtigen Mantel ist der Cousin von Mr. Tapley?«
    »Ja, Mrs. Jameson, das ist er.«
    »Hmmm«, sagte Mrs. Jameson. »Das ist alles sehr verwirrend, und ich muss in Ruhe darüber nachdenken. Gute Nacht, Mrs. Ross. Ich bin wirklich froh, dass ich heute Ihre Gesellschaft hatte.«
    Mit diesen Worten ging sie ins Haus, und ich setzte meinen Weg zu unserem eigenen Haus fort, wo Bessie wie auf glühenden Kohlen saß und darauf wartete, dass ich ihr von der Beerdigung erzählte. Und was ich zu erzählen hatte! Eine ganze Menge mehr, als sie für möglich gehalten hätte.

KAPITEL ACHTZEHN
    Inspector Benjamin Ross
    Ein Versuch, Victorine Tapley noch am gleichen Abend zu vernehmen, gleich nach unserer Rückkehr zum Scotland Yard, erwies sich als unproduktiv. Zuerst weigerte sich die Lady glattweg zu reden. Sie hatte die Nadeln herausgezogen, die den Federhut auf ihrem Haar hielten, und die Kopfbedeckung auf den Tisch zwischen uns gelegt, wo sie mich unwiderstehlich an einen toten, als Trophäe ausgebreiteten Vogel erinnerte. Sie saß auf ihrem Stuhl, die Augen unverwandt auf den Hut gerichtet und die Hände im Schoß gefaltet.
    »Sie tun sich keinen Gefallen damit, Madame«, sagte ich zu ihr. »Indem Sie beharrlich schweigen, obwohl Ihr Verhalten so eigenartig war, erwecken Sie den Verdacht, hinter ihrem Schweigen könnte ein nicht ganz einwandfreies Motiv stecken.«
    »Welches Verhalten?«, fragte sie so ruhig und gesetzt, als wäre nichts gewesen.
    »Auf dem Friedhof, Madame. Als wir alle losrannten, um Miss Flora zu helfen oder ihren Angreifer zu verfolgen, rannten Sie in die entgegengesetzte Richtung davon und widersetzten sich dem Versuch meiner Frau, Sie an der Flucht zu hindern.«
    Das brachte mir eine erhobene Augenbraue ein. »Ich wusste nicht, was plötzlich los war! Ich bin in einem fremden Land. Mein Ehemann wurde in diesem Land ermordet! Wir waren auf diesem Friedhof, um ihn zu begraben! Meine Gedanken kreisten um diese Bestattung und nichts anderes, als plötzlich aus einem Grund, den ich zu diesem Zeitpunkt nicht verstanden hatte, alle laut durcheinanderschrien und -rannten! Also rannte ich ebenfalls. Im Dämmerlicht erkannte ich nicht sogleich, dass Mrs. Ross hinter mir war. Ich dachte, eine Bande von Raufbolden hätte uns auf diesem einsamen Friedhof aufgelauert! Warum ist Mrs. Ross gerannt?«
    »Weil Sie gerannt sind, Madame.«
    »Dann würde ich vorschlagen, dass es Ihre Frau war, die sich unlogisch verhalten hat, nicht ich.«
    Mit diesem wohlgezielten Pfeil hatte sie mitten ins Schwarze getroffen, und das wusste sie auch. Sie weigerte sich, noch etwas zu sagen.
    »Wir lassen sie über Nacht in einer Zelle«, sagte ich zu Dunn. »Vielleicht hat sie bis morgen früh ihre Meinung geändert und redet mit uns. Oder wir haben von der französischen Polizei gehört, was ich sehr hoffe, denn im Moment können wir ihr überhaupt nichts vorwerfen … außer dass sie weggerannt ist, als alle anderen ebenfalls gerannt sind und in Panik waren. Wenn wir nichts Neues erfahren, müssen wir sie morgen wieder laufen lassen. Wir riskieren ohnehin, uns zum Narren zu machen. Wenn wir den Mann finden, der Flora Tapley angegriffen hat, und wenn sich herausstellt, dass dieser Mann Hector Mas ist, dann sieht die Sache wieder anders aus. Es wird ihr schwerfallen abzustreiten, dass sie mit ihm

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