Ein guter Blick fürs Böse
vergleichsweise frische und saubere Morgenluft ein. Die ersten Arbeiter waren unterwegs zu den Fabriken und wichen den Pfützen aus, die sich vom nächtlichen Regen auf den kopfsteingepflasterten Straßen gebildet hatten. Aus den Schornsteinen quoll der erste Rauch, als Hausfrauen oder verschlafene Dienstmädchen den Herd befeuerten. Ich malte mir aus, dass das Kommen und Gehen in Mrs. Jamesons Haus in der vergangenen Nacht das vorrangige Gesprächsthema am Frühstückstisch sein würde.
Bisher war kein Geräusch aus unserer Küche zu hören, und das Feuer im Salon war längst ausgegangen. Doch der Raum war noch warm, und ich ließ mich im Sessel vor dem Kamin nieder und schlief ein.
Ich wurde geweckt von Bewegungen und dem Klang einer Stimme. Ich öffnete die Augen und erblickte Lizzie, die mit einer Tasse Tee in der Hand über mir stand. Ich warf einen Blick auf unsere Uhr und stellte fest, dass ich gerade anderthalb Stunden geschlafen hatte. Aus der Küche waren Bessie und Jenny zu hören, die das Frühstück zubereiteten.
»Mrs. Jameson kommt gleich nach unten«, informierte mich Lizzie. »Ich hoffe, die arme Frau hat ein wenig Schlaf gefunden. Ich für meinen Teil habe geschlafen wie ein Stein«, fügte sie unumwunden hinzu. »Ich bitte eines der Mädchen, eine Kanne mit heißem Wasser nach oben zu bringen, damit du dich rasieren kannst.«
Als ich wenig später rasiert und in ein neues Hemd gekleidet nach unten kam, saßen Mrs. Jameson und Lizzie bereits am Frühstückstisch. Ich fragte unseren Gast, wie er geschlafen hatte.
»Nicht gut, Mr. Ross, obwohl das Bett sehr bequem war und ich Ihnen und Ihrer Gattin überaus dankbar bin für Ihre Güte. Doch ich werde mich Ihnen keine zweite Nacht aufdrängen. Das Türschloss hat mich die ganze Zeit beschäftigt. Ich kenne einen Schlosser, und ich denke, er wird unverzüglich kommen. Ich muss umgehend nach Hause zurück. Ich möchte nicht, dass das Haus leer steht. Denken Sie nur, wenn jemand den Schlüssel genommen hat, ist er möglicherweise zurückgekehrt und mit sämtlichen Wertgegenständen, die er finden konnte, auf und davon.«
»Constable Butcher hat die Nacht über aufgepasst«, versicherte ich ihr, doch sie schien wenig überzeugt.
Bevor sie und Jenny uns verließen, bat ich die beiden Frauen in den Salon und befragte sie ein weiteres Mal. Ich fing mit Jenny an, da ich noch nicht ausführlicher mit ihr gesprochen und sie den Toten gefunden hatte. Ich befürchtete, sie könnte wieder anfangen, sich zu winden und zu heulen, doch unter den Augen ihrer Herrschaft riss sie sich halbwegs zusammen. Biddle hielt sie für ein hübsches Ding, und ich war geneigt, ihm zuzustimmen. Sie hatte einen rosigen Teint von der Sorte, die man normalerweise mit Milchmädchen in Verbindung bringt, große blaue Augen und kupferrotes Haar. Ich fragte mich erneut, ob es mögliche Verehrer gab. Ein hübsches Mädchen wie sie hatte doch sicherlich einen Liebsten? Vielleicht in ihrem Heimatort Chatham? Vielleicht war er die Hintertreppe hochgeschlichen und hatte den ahnungslosen Tapley erschlagen.
»Deine Herrin hat dir also aufgetragen nachzusehen, warum Mr. Tapley nicht zum Abendessen nach unten kam. Erzähl mir bitte genau, was du gemacht und was du gesehen oder gehört hast.«
»Ich habe nur an die Tür geklopft und seinen Namen gerufen, Sir. Ich habe vorher weder etwas Auffälliges gesehen noch etwas gehört. Ehrlich, Sir, ich habe an diesem Tag niemanden hereingelassen. Vielleicht ist jemand durch die Hintertür reingekommen, als ich nicht in der Küche war und auch auf dem gleichen Weg raus, aber es wäre schon sehr riskant für ihn gewesen, Sir, wo ich oder Mrs. Jameson jederzeit hätten reinkommen können. Er war ganz gerissen, wenn es so war.« Ihre großen blauen Augen sahen mich unschuldig an.
Ich war diesem Blick mehr als einmal begegnet, und oft genug waren es abgebrühte Kriminelle gewesen, die mich so angesehen hatten, weswegen ich mich davon wenig beeindruckt zeigte. Doch um ehrlich zu sein, erschien sie mir wie ein Mädchen, dass sein Herz auf der Zunge trug, und nicht wie eine Betrügerin. Auch lag es mir fern, sie zu verängstigen. Schuldig oder nicht, wenn man ihnen das Gefühl gibt, ihnen zu glauben, so entspannen sie sich und achten weniger auf das, was sie sagen.
»Sicher, sicher, Jenny. Mach da weiter, wo du an die Tür geklopft hast.«
»Er antwortete nicht, Sir, und ich dachte mir, er wär vielleicht in seinem Sessel eingedöst, er ist ja schon
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