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Ein guter Blick fürs Böse

Ein guter Blick fürs Böse

Titel: Ein guter Blick fürs Böse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Granger
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älter und alles. Ich hab es schon das ein oder andere Mal bei ihm erlebt. Ich öffnete also die Tür und sah rein, weil ich dachte, ich müsste ihn wecken. Und da … du heiliges Kanonenrohr!« Jenny unterbrach sich erschrocken und sah ihre Arbeitgeberin flehend an. »Bitte entschuldigen Sie, Missus, es ist mir einfach rausgerutscht. Ich wollte sagen, du heiliger Bimbam …«
    Sogar Mrs. Jameson musste angesichts dieser hastigen »Verschlimmbesserung« schmunzeln.
    Jenny fuhr fort. »Jedenfalls, er lag auf dem Teppich, der Schädel eingeschlagen, und alles war voller Blut. So was hab ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen. Noch nie. Mein Papa arbeitet im Hafen von Chatham. Manchmal passieren dort Unfälle, wo die Männer übel zerschunden werden, aber ich wette, der Anblick ist auch nicht schlimmer als der, den ich gesehen hab. Ich hoffe, dass ich so was Schreckliches nicht noch mal sehen muss, nein, im Leben nicht mehr!«
    Als junger Mann hatte ich in meiner Heimat Derbyshire in den Minen gearbeitet. Auch ich hatte übel zerschundene Leiber gesehen. Und auch ich war schockiert gewesen, einen so malträtierten Leichnam in einem Privathaus zu finden. Jennys entsetzter Auftritt am Vortag war entschuldbar.
    Wie dem auch sei, sie beharrte fest darauf, dass es im Verlauf des Tages keinerlei Besuche oder Aufwartungen gegeben hatte. Die Hintertür war wie üblich unversperrt gewesen, da sie häufig in den Hof musste. Es war ihr ein Rätsel, wie jemand an ihr vorbei ins Haus geschlüpft sein konnte.
    »Es war ein niederträchtiger Dieb auf leisen Sohlen, Sir, das war er. Der arme Mr. Tapley hat ihn gestört, und der brutale Kerl hat dem armen alten Mann den Schädel eingeschlagen.«
    Jenny konnte Recht haben, trotzdem war ich anderer Meinung. Die Art und Weise, wie Tapley ausgestreckt dagelegen hatte, ließ mich darauf schließen, dass der Mörder ihn überrascht hatte und nicht andersherum. Doch für den Augenblick beließ ich es dabei und sagte ihr, dass sie zurück zu Bessie in unsere Küche gehen durfte, während ich mich mit ihrer Herrin unterhielt.
    Jenny erhob sich. Sie beteuerte immer wieder, dass es nicht ihre Schuld war, wenn sich jemand Zugang zum Haus verschafft hatte. Sie hatte viel Arbeit. Man konnte nicht von ihr verlangen, dass sie Augen im Hinterkopf hatte. Ich verwarf meine – ohnehin schwache – Hypothese, ein Verehrer von Jenny könnte für die grausame Tat verantwortlich sein. Das Mädchen mochte eine lebhafte Phantasie haben und zu Hysterie neigen – ich würde ihren Auftritt in unserer Küche nicht so schnell vergessen –, doch für so etwas war sie nicht verschlagen genug.
    Als Jenny gegangen war, wandte ich mich der Witwe zu. Ihre Geschichte entsprach im Wesentlichen der Darstellung, die sie Lizzie gegenüber am Vorabend abgegeben hatte. Erneut war ich beeindruckt, wie leicht es Tapley gelungen war, sich einen Platz in ihrem kleinen Haushalt zu ergattern. Sie bemerkte es und äußerte sich reuevoll.
    »Ich kann Jenny wirklich keinen Vorwurf machen, falls sich jemand ins Haus geschlichen haben sollte, wo ich doch selber Mr. Tapley so ganz ohne ordentliche Referenzen aufgenommen habe. Ich wünschte, ich hätte eine Erklärung dafür. Er war so eine angenehme, harmlos wirkende Person.«
    Derlei »harmlose« Charaktere waren mir nicht unbekannt. »Mrs. Jameson, bitte seien Sie offen, hat Mr. Tapley Sie irgendwann einmal ersucht, ihm Geld zu leihen?«, lautete denn auch meine nächste Frage.
    »O nein, Inspector!« Sie sah mich fassungslos an. »Selbstverständlich nicht! Er hat seine Miete stets pünktlich bezahlt und nie um einen Mietaufschub gebeten, um das Geld aufzutreiben.«
    »Ich glaube nicht, dass er ein Hochstapler war, was, wie ich glaube, die Bezeichnung für derlei Leute ist«, fügte sie überraschend hinzu.
    Lizzie hatte Recht. Mrs. Jameson war eine durch und durch vernünftige Person und in keinerlei Hinsicht naiv. Es war unklug von ihr gewesen, an Tapley zu vermieten, doch zum damaligen Zeitpunkt hatte es vermutlich keinen Grund gegeben, der dagegen gesprochen hatte. Verdächtigte ich Tapley zu unrecht?
    Ich begleitete sie zu ihrem Haus zurück, und Jenny folgte uns trübsinnig. Ich fragte mich, wie lange es noch dauern würde, bis sie sich unter Verwendung ihrer Quäker-Referenzen auf die Suche nach einer neuen Anstellung machte. Bevor ich die beiden Frauen verließ, wies ich sie darauf hin, dass weder sie noch sonst jemand eines der an Tapley vermieteten Zimmer

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