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Ein guter Blick fürs Böse

Ein guter Blick fürs Böse

Titel: Ein guter Blick fürs Böse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Granger
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entgegen. Ich beging nicht den Fehler, Jonathan Tapley zu unterschätzen. Vermutlich rechnete er mit einer solchen Aktion. Doch ein gerissener Kerl wie er hatte sicher rechtzeitig seine Vorbereitungen getroffen. Vermutlich war er auf jede Frage gefasst, ebenso wie seine Frau und Miss Flora. Die älteren Herrschaften hatten es bestimmt nicht versäumt, ihre Nichte vorzubereiten. Es lag schließlich auch in ihrem Interesse, dass diese Sache nicht ausuferte. Floras geplante Hochzeit hing davon ab. Falls der Mord nicht bereits dazu geführt hatte, dass die Hochzeit auf unbestimmte Zeit verschoben worden war und vielleicht niemals mehr stattfinden würde.
    Ich wählte den Zeitpunkt meines Läutens mit Bedacht. Das Abendessen sollte inzwischen vorbei sein. Der Butler öffnete mir die Tür und bedachte mich mit einem Blick, der mir deutlich machte, dass ich mich am Dienstboteneingang hätte melden sollen. Er nahm meine Karte, als würde ihn der bloße Kontakt damit beschmutzen. Nachdem er einen kurzen Blick darauf geworfen hatte, winkte er mich herein und schloss rasch hinter uns die Tür, um zu verhindern, dass ein vorübergehender Passant bemerkte, wie ich das Haus betrat. Dann verschwand er, um seinen Herrn darüber in Kenntnis zu setzen, dass ich das Parkett mit meinen Stiefeln beschmutzte.
    Nach kurzer Zeit kehrte er zurück und führte mich in einen kleinen Salon, wo er mich erneut allein ließ. Nach wenigen Minuten näherten sich Schritte. Die Tür flog auf und gab den Blick auf einen vor Wut schäumenden Jonathan Tapley frei.
    »Das ist inakzeptabel, Inspector!« Er marschierte in das Zimmer, und die Tür fiel hinter ihm laut ins Schloss. »Unsere Familie befindet sich in Trauer! Wir haben uns bereits zweimal unterhalten, einmal in Ihrem Büro, einmal in meinem. Es gibt keinen wie auch immer gearteten Grund für Sie, zu dieser späten Stunde herzukommen und uns beim Abendessen zu stören.«
    »Sie sitzen noch beim Essen?«, fragte ich. »Das tut mir leid. Ich bin extra spät gekommen, um Sie nicht zu stören, bevor Sie fertig waren. Hoffte ich zumindest.«
    Er schnaubte, und wäre er ein Bulle gewesen, hätte er womöglich mit den Hufen gescharrt. »Tatsächlich? Nun, jetzt sind Sie hier. Setzen Sie sich, und sagen Sie mir, was Sie wollen. Machen Sie es kurz, wenn ich bitten darf.«
    »Ich muss ein paar Dinge klären. Und ich würde mich gerne mit den Damen unterhalten, Sir, wenn es gelegen ist.«
    »Nein, das ist es nicht, verdammt!«, brüllte er mich an.
    Die Luft erzitterte, und über unseren Köpfen klirrten die Glastropfen des Lüsters. Vielleicht ernüchterte ihn das.
    »Es ist leider kaum gelegen«, fuhr er in etwas gemäßigterem Ton fort. »Seitdem die Damen vom Tod meines Cousins erfahren haben, sind sie in einem schweren Schock.«
    Ich nickte mitfühlend. »Doch eine der beiden, Miss Flora Tapley, ist die nächste Verwandte des Verstorbenen, seine leibliche Tochter. Ich kann verstehen, dass Miss Flora und Ihre Frau zutiefst schockiert sind. Doch Sie werden auch verstehen, Mr. Tapley, dass ich mit Miss Flora sprechen muss . Es ist unumgänglich. Ich bin der zuständige Ermittlungsbeamte. Selbstverständlich erwarte ich nicht, dass die junge Dame zum Scotland Yard kommt. Ich dachte, es wäre Ihnen lieber, wenn ich hierherkäme.«
    »Haben Sie dies tatsächlich gedacht?«, erwiderte er sarkastisch. Er wusste genau, dass ich ihn soeben ausmanövriert hatte.
    Langsam wurde ich des albernen Spiels überdrüssig. Gut möglich, dass Tapleys Sarkasmus das Zünglein an der Waage war. »Nun kommen Sie, Mr. Tapley«, entgegnete ich forsch. »Es sollte Sie wirklich nicht besonders überraschen, mich hier zu sehen. Wir haben beide den Text gesagt, den dieses Theaterstück uns vorgegeben hat. Sie haben Ihrer Empörung Ausdruck verliehen. Ich habe mich entschuldigt. Nun muss ich einige Fragen stellen. Das ist schließlich meine Aufgabe als Ermittler. Meine erste Frage – die Sie sicherlich leicht beantworten können – betrifft Ihren Aufenthaltsort zum Zeitpunkt von Thomas Tapleys Tod. Sie werden verstehen, dass diese Frage notwendig ist, um Sie von den weiteren Ermittlungen auszunehmen. Zweifellos können Sie mir sagen, wo Sie waren, und mir die Namen der Zeugen nennen. Dann könnten wir weitermachen.«
    Als ich geendet hatte, befürchtete ich für einen Moment, er würde mich eigenhändig packen und hinauswerfen oder einige seiner Lakaien rufen. Doch zu meiner Verwunderung gab er lediglich ein leises Schnauben

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