Ein guter Blick fürs Böse
Madeleine Hexham ermordet wurde, bevor ich hier angekommen bin«, erhob ich Einspruch. »Schließlich kam ich als Ersatz für sie hierher.«
»Miss Hexham war Gesellschafterin hier in diesem Haus?«, beeilte sich Miss Bunn zu fragen. Sie starrte ihre Arbeitgeberin aus leicht vorstehenden hellblauen Augen an.
Tante Parry blickte für einen Moment unbehaglich drein. »Ja, doch ihr Tod hatte nichts mit diesem Haus zu tun. Sie war ein dummes Mädchen, von der Sorte, die sich ständig in Schwierigkeiten bringt. Ich erinnere mich nicht an die Einzelheiten.«
Miss Bunn blickte nachdenklich drein.
Als Simms mich zur Vordertür geleitete, kam Bessie die Treppe vom Untergeschoss hochgerannt, wo sie ihre alten Freunde besucht hatte.
»Ich vermute, Mrs. Simms und die anderen haben sich gefreut, dich zu sehen«, sagte ich zu ihr, als wir uns auf den Weg machten. »Lass uns Richtung Oxford Street gehen. Es sollte nicht schwer sein, unterwegs eine Kutsche zu finden, die uns nach Hause bringt.«
»Wir haben uns nett unterhalten«, berichtete Bessie mit Genugtuung. »Natürlich dreht sich hier im Moment alles nur um den schrecklichen Mord an Mr. Tapleys Cousin. Das ganze Personal, und das schließt Mr. und Mrs. Simms mit ein, war höchst fasziniert, dass ich dem armen Mann noch kurze Zeit vorher begegnet bin.« Ein Lächeln überzog Bessies Gesicht bei dem Gedanken an den glanzvollen Augenblick, als sie diese Neuigkeit zum Besten gegeben hatte. Sie fuhr mit ihrer Erzählung fort. »Wilkins, sie ist hier das Hausmädchen, geht mit dem Diener der Tapleys aus. Von ihm weiß sie, dass sich der ganze Haushalt in Aufruhr befindet; niemand weiß, was in der nächsten Minute passiert. Natürlich ist es sehr schade um Mr. Thomas Tapley, wenngleich ihn niemand vom Personal gekannt hat, da er in Frankreich lebte. Am meisten leid tut es ihnen wegen Miss Flora.«
»Sie hat ihren Vater verloren, ihren richtigen Vater«, sagte ich. »Da ist es verständlich, dass sie verzweifelt ist.«
»Ich denke, sie hat ihn kaum gekannt«, erwiderte Bessie unverblümt. »Wie ich das sehe, war sie noch sehr klein, als er ins Ausland ging und sie bei ihrem Onkel und seiner Frau zurückließ. Doch nun macht ihr ein sehr feiner junger Herr den Hof. Er ist der jüngere Sohn eines Lords. Sollte seinem älteren Bruder irgendetwas passieren, erbt Miss Floras Verehrer den Titel. Die Tapleys können daher keinen Skandal in der Familie gebrauchen. Mrs. Tapley ist aus diesem Grund in sehr schlechter Verfassung; und Mr. Jonathan Tapley ist so aufgebracht, dass niemand vom Personal sich traut, ihn anzusprechen.«
Gut möglich, dass Jonathan Tapley momentan verärgert war, dachte ich, doch wenn Ben an diesem Abend auf seiner Türschwelle erschien, würde er wahrscheinlich vor Zorn rasen.
Wir waren am Bryanston Square angekommen, einer vornehmen und weitläufigen Gegend, wo viele elegante Zweispänner klappernd auf und ab fuhren. Modisch gekleidete Menschen schlenderten über die Gehwege.
»Ich kann nirgendwo eine Droschke entdecken«, sagte Bessie, während sie die Hand an die Stirn hob, um die Augen vor der Sonne abzuschirmen. »Es ist wohl das Beste, wenn wir weiter in Richtung Oxford Street gehen.«
»Ich wünschte, ich wüsste, welches Haus den Tapleys gehört«, bemerkte ich, während ich die Reihen schwarz lackierter Haustüren mit prüfenden Blicken musterte.
In diesem Moment überholte uns ein Gassenjunge, wie Joey einer war, und streifte haarscharf an mir vorbei. Ich umklammerte meinen Pompadour, da ich befürchtete, dass er es darauf abgesehen hatte. Doch stattdessen bemerkte ich überrascht, wie ein spitzer Gegenstand in meine Hand gedrückt wurde. Ich öffnete die Hand und stellte fest, dass es sich um eine kleine, längliche Karte handelte, eine Visitenkarte. Der Junge war bereits wieder in der Menge untergetaucht.
»Es wird eine Werbung sein«, sagte Bessie altklug.
»Horatio Jenkins. Privater Ermittlungsagent. Verschwiegenheit ist garantiert«, las ich die Beschriftung der Karte vor. Daran an schloss sich eine Adresse in der Camden High Street.
»Ja, es ist Werbung«, sagte ich langsam zu Bessie und drehte die Karte um. Auf der Rückseite standen vier in Druckbuchstaben geschriebene Worte: ICH WÄRE IHNEN VERBUNDEN.
»Ich bin nicht sicher, wofür«, fügte ich hinzu und schob die Karte in meine Tasche.
Inspector Benjamin Ross
Ich sah meinem unangemeldeten Besuch bei Jonathan Tapley und seiner Familie zu Hause mit gemischten Gefühlen
Weitere Kostenlose Bücher