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Ein guter Blick fürs Böse

Ein guter Blick fürs Böse

Titel: Ein guter Blick fürs Böse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Granger
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nach – wie hieß das noch gleich? Irgendein Ort in Derbyshire. Ich habe nicht ein Wort von dir gehört! Wie geht es dir, und wie geht es Inspector Ross?« Bevor ich die Gelegenheit erhielt zu antworten, stellte sie mir Miss Bunn vor und fügte an: »Dies hier ist Mrs. Ross, meine Nichte, Laetitia. Ich habe Ihnen bereits von ihr erzählt.«
    Um genau zu sein, war ich nicht ihre Nichte. Sie war die Witwe meines Paten. Doch wir hatten uns auf die Anrede »Tante« geeinigt.
    Ich wusste nicht, was meine Tante Parry ihrer Gesellschafterin über mich erzählt hatte, doch das arme Ding starrte mich an, als wäre ich aus einem Wanderzirkus entflohen.
    »Ich bin sehr erfreut, Sie kennenzulernen, Miss Bunn«, sprach ich sie an. »Ich hoffe, Sie haben sich gut eingelebt?«
    »Oh ja«, flüsterte Miss Bunn. »Selbstverständlich. Mrs. Parry ist sehr freundlich.«
    Sie machte den Eindruck einer unscheinbaren Person, die sich aus Angst vor einer Kündigung bemühte zu gefallen. Eine schlimme Situation, in der sich die meisten Gesellschafterinnen befanden. Ich hatte Mitleid mit ihr. Dort draußen gab es Tausende wie sie, unglückliche Mädchen aus respektablen Familien, die keinerlei Verwandtschaft mehr besaßen, die sie hätte aufnehmen können. Ich war nicht immer einer Meinung mit Tante Parry, doch ich hatte mich in der gleichen Lage wie Miss Bunn befunden, als Tante Parry mich einlud, zu sich nach London zu kommen. Zu jener Zeit war ich dankbar dafür gewesen, und im Geiste ermahnte ich mich, das nicht zu vergessen.
    »Es ist recht zugig hier drinnen«, äußerte sich Tante Parry. »Wenn Sie eben klingeln würden, Laetitia, so dass Simms den Tee auffüllen kann. Und holen Sie mir doch bitte mein Schultertuch – das aus hellblauer Kaschmirwolle. Ich danke Ihnen, meine Liebe.«
    Miss Bunn sprang auf die Füße; sie zog derart fest am Glockenstrang, dass es ein Wunder war, dass das Seil nicht abriss. Danach eilte sie aus dem Zimmer, um das Tuch zu holen.
    »Oh, meine liebe Lizzie«, vertraute sich Tante Parry mir ohne Umschweife an, als die Gesellschafterin den Raum verlassen hatte. »Sie macht mich völlig verrückt. Sie spielt fürchterlich schlecht Whist – sie kann nicht rechnen, das arme Ding. Sie wirft ihr ganzes Blatt durcheinander. Sie kann keine Konversation betreiben. Sie ist beklagenswert ungebildet. Wenn sie mir vorliest, so stockt sie vor jedem längeren Wort, um zu überlegen. Sie stottert und betont die falschen Silben und, nun ja, es ist eine Qual, ihr zuhören zu müssen. Wie sehr ich dich vermisse, meine liebe Elizabeth, und wie sehr ich mir wünsche, du wärst immer noch bei mir. Aber nein, du musstest dich ja davonmachen und diesen Polizisten heiraten.«
    Glücklicherweise blieb es mir erspart, darauf antworten zu müssen, da in diesem Moment Simms, der Butler, auftauchte. Er wurde mit dem Auftrag fortgeschickt, neuen Tee zu bringen sowie eine weitere Tasse für mich. »Und vielleicht noch ein wenig Gebäck!«, ergänzte Tante Parry strahlend, wobei sie die Tatsache zu ignorieren schien, dass das Mittagessen noch nicht lange zurücklag.
    »Bist Du wohlauf, Tante Parry?«, erkundigte ich mich. »Was gibt es an Neuigkeiten hier im Haus? Arbeitet Nugent noch hier?«
    Nugent war die leidgeprüfte Kammerzofe.
    Allein der Gedanke, sie müsste womöglich ohne Nugent auskommen, entlockte Tante Parry ein erschrockenes Quieken. »Wenn ich Nugent nicht hätte, so wäre ich in einer furchtbaren Lage! Und nein, ich bin nicht wohlauf. Ich habe schreckliche Magenprobleme, und kein Pülverchen macht es auch nur ein Stück besser!«
    Womöglich würde es helfen, wenn sie weniger äße, dachte ich bei mir.
    »Mrs. Simms vermisst die Küchenmagd, die du mitgenommen hast«, setzte Tante Parry die Liste ihrer Beschwerden fort. »Selbstverständlich habe ich umgehend ein anderes Mädchen eingestellt, um diese, wie war noch ihr Name? Bessie? Um diese Bessie zu ersetzen. Sie ist ebenfalls auf der Straße aufgewachsen. Mrs. Simms beschwert sich, dass sie so langsam lernt. Du musstest Bessie ja unbedingt mitnehmen, als du gegangen bist. Weißt du, Lizzie, auch wenn ich dir wohlgesonnen bin, so muss ich sagen, dass du meinen Haushalt ins Chaos gestürzt hast. Du hättest ruhig ein wenig Rücksicht auf mich nehmen können. Oh, da sind Sie ja, Laetitia. Warum hat es so lange gedauert?«
    Die nächsten fünf Minuten verbrachten wir damit, das blaue Tuch um Tante Parrys mollige Schultern zu wickeln, bis schließlich Simms erschien

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