Ein guter Mann: Roman (German Edition)
neue, sterile Behausung jagte ihm ein wenig Angst ein.
Die Bar war mäßig besetzt, drei Männergruppen an Tischen, drei Männer auf Barhockern am rechten Rand des Thekenovals, links außen eine Frau mit einem dunkelroten Oberteil, allein.
Der Pianist am Flügel schwelgte gerade in alten Sinatra-Titeln. Er machte es so gut, dass er kaum auffiel. Nur gelegentlich setzte er einen schnellen Lauf, betonte die Übergänge in den Septimen und rutschte wieder in seine Vorstellung einer gepflegten, heimeligen Nachtmusik, sang und summte eine Strophe, grinste jedermann zu.
Für Sekunden verharrte Müller neben dem Musiker und erinnerte sich liebevoll an seine Mutter, die einmal verlegen gewispert hatte: »Weißt du, Papa liebt diesen gewissen Trompetenspieler ja sehr, aber ich glaube, in der Schule darf das keiner wissen.« Die Rede war von Louis Armstrong gewesen, und tatsächlich hatte sein Vater diese stille Liebe immer strikt verborgen, als handele es sich um ein Sakrileg.
»Hallo«, sagte er und setzte sich auf einen Hocker. »Ich hätte gern einen blauen Johnnie Walker, doppelt, mit stillem Wasser und ohne Eis.«
Der Barmann nickte.
Müller versuchte sich zu entspannen. Seine Gedanken rasten durcheinander. Hoffentlich stirbt mein Vater nicht. Wie bringe ich Anna-Maria diese schäbige neue Wohnung bei? Wie soll meine Mutter das alles schaffen, ohne durchzudrehen? Wo steckt Achmed? Kommt Melanie klar? Hat sie überhaupt verstanden, was ich meine? Sollte ich nicht wenigstens einen neuen Teppichboden haben? Und was kostet das? Was passiert, wenn Achmed sich auf etwas eingelassen hat, was er nicht steuern kann? Wie bewertet Krause eigentlich das Verschwinden Achmeds? In den Ecken im Bad habe ich leichten Pilzbefall, das sieht ekelhaft aus. Obst habe ich vergessen, Kerzenhalter auch. Ich werde dort nicht schlafen können. Warum hat Achmed mir sein Vertrauen verweigert?
Der Barmann stellte den Whisky vor ihn hin, zusammen mit einem kleinen Schälchen Nüsse.
Rechts von ihm bemühte sich ein betrunkener Krawattenträger, seinem Begleiter einen Witz zu erzählen. Es war ein Witz der Gattung: Kommt eine Frau zum Frauenarzt …, und der Mann lallte.
Der Pianist erging sich elegisch in »Somewhere over the Rainbow …«.
Die rot gekleidete Frau links fragte ihn plötzlich ganz direkt: »Spielen Sie mit mir Siebzehnundvier? Um einen Drink?«
»Gern!«, sagte Müller überrascht. Das wird mich ablenken, dachte er.
Die Frau mochte Mitte dreißig sein und hatte ihr langes, volles Haar in der Farbe reifer Kastanien gefärbt, mit zwei hellen Strähnen auf der linken Kopfseite. Sie trug eine einfache Bluse mit einem gleichfarbigen Seidenschal, keinen Schmuck, keinen Lack, kein Make-up.
»Wie sieht der Einsatz aus?«, fragte Müller. Er dachte: Es wird ihre Art sein, die Nacht zu verkürzen.
Sie sah ihn mit großen, klaren grauen Augen an. Sie wirkte gut gelaunt. »Sagen wir, einen Fünfer die Runde?«
Müller nickte.
»Gut«, sagte sie. »Ich gebe, wenn Sie nichts dagegen haben. Dann kann ich besser mogeln.« Sie hatte ein Kartenspiel auf der Theke liegen und mischte sehr gekonnt.
Der Pianist spielte »Misty«.
Sie gab eine Karte an Müller, deckte sich selbst eine auf. Müller hatte eine Vier, sie eine Dame.
»Noch eine«, sagte Müller. Die Karte kam angesegelt, er nahm sie auf. Es war eine zweite Vier. Da er kein Spieler war, ihn Spiele gleich welcher Art im Grunde nicht interessierten, meinte er: »Es reicht mir.«
Zu ihrer Dame kam eine Sieben, dann eine Fünf, dann überlegte sie kurz und zog eine Zehn.
»Pech«, sagte sie und verzog den Mund.
Müller deckte seine mickrigen zwei Vieren auf.
»Ein Profi«, rief sie heiter.
»So spielt das Leben«, sagte Müller.
Sie war eine schöne Frau mit einem schmalen, fast asketischen Gesicht und einem vollen Mund. Um die Augen herum strahlten eine Menge kleiner Lachfältchen. Sie hatte lange, elegante Hände mit sehr gepflegten Nägeln.
Sie war offensichtlich die Sorte Frau, vor der er sich sein Leben lang in Acht genommen hatte: selbstsicher, anscheinend schrecklich selbstständig und wahrscheinlich auch ziemlich klug.
Er verirrte sich wieder in seinen Gedanken. Melanie hat mich sicher nicht verstanden. Sie denkt, ich allein sei das Problem, sie wird nicht verstanden haben, dass wir das Problem sind. Sie wird es bald abhaken und später seufzen: »Mein Mann hat uns verlassen, und ich weiß bis heute nicht, warum.«
»Es geht weiter«, sagte die Frau neben ihm,
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