Ein gutes Jahr für Zwerge?
groß und in den Körpermaßen besteht lediglich ein Zentimeter
Unterschied. Wenn Sie nun blond wären — oder sie dunkelhaarig — dann würde ich
sagen, ihr beide könntet Zwillinge sein .«
Sie blickte lange Zeit auf das
Bild und schob es mir dann wieder hin. »Es war dumm von mir, nicht auf den Gedanken
zu kommn , daß Sie von Davis ihr Bild bekommen haben
würden .« Ihr heidnisch geschwungener Mund verzog sich
zu einem Lächeln. »Würden Sie auch glauben, daß wir nur Schwestern sind? Jodie
ist elf Monate älter als ich .«
»Und wer von beiden hat die natürliche
Haarfarbe ?«
»Ich, natürlich! Wir warfen
eine Münze, und die Verliererin mußte sich die Haare blond färben .«
»Wieso kamen Sie zu dem
Entschluß, sich betont voneinander zu unterscheiden ?«
»Hauptsächlich aus Langeweile,
glaube ich. Wir waren ein paar Jahre lang als Schwestern aufgetreten, und
jedermann war überzeugt, wir seien Zwillinge. Eine Weile machte das Spaß, dann
waren wir es leid, miteinander verwechselt zu werden .« Ihre dunklen Augen funkelten einen Moment lang verschmitzt. »So was kann auch
das Liebesleben durcheinanderbringen .«
»Keinerlei
Unterscheidungsmerkmale ?« fragte ich mit sachlicher
Stimme. »Hat keine von Ihnen irgendein erotisch anregendes Muttermal oder eine
Narbe an einer diskreten Stelle ?«
»Auf so einen Gedanken können
auch nur Sie kommen. Da gibt es nichts, aber wenn Sie genau hinschauen, werden
Sie feststellen, daß Jodies Nase ein bißchen länger ist als meine und mein Mund
ein bißchen breiter als der ihre .«
»Und als Jodie sich dann also
blond färbte, beschlossen Sie, nicht nur verschieden auszusehen, sondern sich
auch verschiedene Namen zuzulegen ?«
»Unser eigentlicher Nachname
ist Cushing. Wir wollten nicht, daß sich die Leute an den Geschwisterauftritt
erinnerten und möglicherweise versuchten, uns wieder zusammenzubringen. Also
nahm Jodie den Mädchennamen unserer Mutter an und ich den meiner Großmutter
väterlicherseits .«
»Und dann arbeiteten Sie in
verschiedenen Klubs in Miami ?«
Sie nickte. »Bis Jodie sich mit
Herb Jaroff in die Haare bekam und weg wollte. Wir dachten, es spiele keine
Rolle, wenn wir zusammen in Los Angeles ein Apartment nehmen würden; denn dort
kannte uns keiner .«
»Weiß Davis, daß Sie Schwestern
sind ?«
»Nein, es sei denn, Jodie hat
es ihm erzählt; was ich bezweifle. Warum?«
»Reine Neugier«, sagte ich und
blickte dann auf meine Uhr. »Jetzt ist es drei Viertel drei. Vielleicht sollten
wir uns auf den Weg machen .«
Wir gerieten während der
nächsten beiden Stunden auf alle möglichen Wege, und wir fanden keine zwei
Leute, die sich über die korrekte Route nach Ransom’s Gully einig waren. Aber schließlich und gegen alle Erwartungen fanden wir das
Nest, nachdem wir anderthalb Kilometer weit eine lange, sich um einen Berg
herumwindende Straße entlanggefahren waren. Da waren die Tankstelle und der
Gemischtwarenladen an der einen Ecke der Kreuzung. Ich hielt neben der nächsten
Zapfsäule und fragte den Tankstellenwärter, ob er wisse, wo sich das Grundstück
mit den Hütten von Clark Calvert befände.
»Wenn Sie Calverts Hütte
meinen«, er betonte den Singular, »die ist drei Kilometer von hier entfernt .« Sein Zeigefinger wies auf einen rechten Winkel zur
Hauptstraße wegführenden, ungeteerten Fahrweg, und machte dann eine Bewegung
nach unten. »Die führt geradewegs zum Grund des Canyons, und die Hütte liegt
beinahe am Ende .«
»Danke«, sagte ich.
»In den letzten beiden Tagen
hat’s viel geregnet«, fuhr er fort, »und ein Teil des Überhangs hat sich
gelockert. Passen Sie auf, wenn Sie in die Schlucht hinunterfahren, es kann
jederzeit zu einem Erdrutsch kommen .«
»Ich werde aufpassen — vielen
Dank«, sagte ich.
Ich bezahlte das Benzin, stieg
wieder ein und teilte Gloria das Ergebnis der Unterhaltung mit. Kaum hatte ich
geendet, als sie auf dem Sitz nach unten rutschte und ihr Kopf in den Schultern
zu versinken schien.
»Husten Sie bloß nicht«, warnte
sie mich mit heiserer Stimme. »Wenn ich bloß einen Laut höre, springe ich glatt
aus dem Wagen .«
»Sofern Sie zuerst an mir
vorbeikommen«, brummte ich.
Während der ersten anderthalb
Kilometer führte die ungeteerte Straße sachte bergab, dann fiel ihr plötzlich
ein, daß sie zum Grund der Schlucht abzufallen hatte. Nach jeder Biegung ging
es steiler bergab. Die letzten achthundert Meter waren die reine
Herausforderung an jeden Teufelsfahrer, und ich
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