Ein Hauch Vanille (German Edition)
extra dafür gezüchteten Haaren gut verstecken,
meine Nase versuchte ich mit einem lang gewachsenen Pony zu kaschieren. Doch um
sie völlig abzudecken musste ich den Kopf unnatürlich schief halten, was für
meine Person wiederum viel zu affektiert wirkte. Deshalb zwirbelte ich mein
Haar gern durch die Finger, weil meine Nase dadurch wenigstens etwas verdeckt
wurde.
In
den ersten Nächten in unserem neuen Zuhause starrte ich unentwegt an die Decke.
Die Laterne, die neben unserem Haus stand, warf ihr Licht genau in mein
Fenster. Ich lauschte den Geräuschen im Haus, es knarrte und knackste so laut,
dass ich manchmal dachte es käme jemand die Treppe hinauf. Auf dem Dachboden
über mir vernahm ich das Rascheln der Mäuse, die ständig ihre Bahnen zogen und
eifrig hin und her flitzten. Ich drehte mich unruhig von der einen zur anderen
Seite, aber an Schlaf war einfach nicht zu denken. Draußen herrschte grausame
Stille, nur das monotone Plätschern der kleinen Quelle, die gegenüber unserem
Haus entsprang, war noch zu hören.
Meine Hände fuhren ziellos über die Bettdecke. Keine Blaulichter, keine Sirenen,
kein nächtliches Getümmel, kein Leben. Was soll ich hier nur anfangen?
In meinem alten Zimmer hatte ich nachts oft auf der Fensterbank gesessen und
den hell erleuchteten Himmel und das Flair der Stadt genossen. Dort wurde es
nie richtig dunkel, nie richtig Nacht. Ich war glücklich, es war perfekt. Bis
Michael bei uns einzog.
In meiner Wut und Verzweiflung sagte ich ihm einmal, dass er gar nicht bei uns
wohnen würde, hätten wir damals nicht unsere Einwilligung dazu gegeben. Ich
weiß nicht, welche Reaktion ich daraufhin erwartet hatte. Sicher nicht, dass er
mir dankbar um den Hals fallen würde, denn Annes Frage war natürlich nur
pro-forma gewesen. Was er mir mit seinem fiesesten Lächeln das er auf Lager
hatte und einem das glaubst auch nur Du , unterschwellig drohend quittierte.
Sofort erinnerte ich mich zurück an die Erleichterung und die grenzenlose
Freude, die ich verspürte, als ein Fünkchen Hoffnung in mir aufkeimte. Damals
teilte uns Anne mit, dass wir nur noch ein paar Tage mit Michael auskommen müssten
und das Beste daraus machen sollten, denn er würde bald ausziehen. Sogar eine
neue Wohnung hatten wir schon besichtigt. Allerdings konnte ich mich auch
genauso gut an die darauf folgende, lange Zeit des Wartens auf seinen Auszug
erinnern. Wir waren so überglücklich ihn bald los zu sein, dass wir wohl zu
nett waren, denn er blieb. Ohne jegliche Erklärung. Stattdessen hatten wir
unsere Sachen packen und mit ihm wegziehen müssen. Nur wegen diesem Arsch saßen
wir also nun in diesem Kuhkaff fest und zu allem Übel waren wir ihm auch noch
hilflos ausgeliefert, dessen er schamlos auszunutzen bereit war.
Der
Schulanfang
D
iese
Sommerferien waren die längsten meines Lebens, da es im Ort niemanden in meinem
Alter gab. Mittlerweile freute ich mich sogar schon auf die neue Schule, weil
dies auch bedeutete, endlich Gleichaltrige kennenzulernen. Die neue Schule lag
zweieinhalb Kilometer entfernt im nächstgrößeren Ort, wohin wir wenigstens mit
dem Bus gefahren wurden. Aber Robert und ich sollten nicht gemeinsam in eine
Klasse gehen, wovon ich gar nicht begeistert war. Denn außer in der
Grundschule, waren wir in der Vergangenheit immer zusammen gewesen, was mir
stets eine gewisse Sicherheit gab.
So stand ich also ganz allein und verloren, weit entfernt von einer Traube mich
angaffender Schüler, direkt vor der Tür der Klasse 10b und stierte verschämt zu
Boden. So lange, bis das Eintreffen eines hageren, groß gewachsenen Lehrers
mich endlich von meinem Leid erlöste. Die große Zahnlücke, die er dabei breit
grinsend zwischen seinen Hasenzähnen zur Schau stellte, machte ihn irgendwie
sofort sympathisch.
„Du musst Lilly sein“, sagte er und musterte mich kurz. Sein Grinsen wurde noch
breiter, als er mir die Hand entgegenstreckte. „Ich bin Herr Schmidt“.
Ich begrüßte ihn und lächelte verschämt zurück. Die Halbglatze und der letzte
Rest seines kreisrunden, weißen Haares am Hinterkopf erweckten in mir den
Eindruck, als wäre er schon zehn Jahre im Ruhestand. Während ich mir noch
Gedanken darüber machte, wie lange er der Klasse aufgrund seines hohen Alters
als Lehrer wohl noch erhalten blieb, gingen wir gemeinsam hinein. Er gab mir
ein Zeichen, neben ihm stehen zu
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