Ein Hauch Vanille (German Edition)
bleiben und abzuwarten. Nach einer gefühlten
Ewigkeit und den Blicken der anderen ausgesetzt stellte er mich endlich der
Klasse vor, während er sich mit einer Hand lässig über die Glatze fuhr.
„Das ist Lilly Maienschein“, sagte er und lehnte ganz entspannt in seinem
Stuhl. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, obwohl ich mir vorher fest
vorgenommen hatte mich von den Blicken der anderen nicht irritieren zu lassen. Doch
jetzt wurde ich immer nervöser. Ich verharrte, steif wie Broccoli neben dem
Lehrerpult, bis meine Hände so zittrig wurden, dass ich sie in den hinteren
Gesäßtaschen verschwinden ließ. Um lockerer zu werden warf ich einen kurzen
Blick in die Runde. Jeweils drei Tische standen nach Geschlechtern getrennt
zusammen, sodass sich kleine Sitzgruppen ohne erkennbare Anordnung im ganzen
Klassenraum verteilten. Jetzt nur keinen roten Kopf bekommen! Es gibt
nichts peinlicheres, als jetzt zu erröten.
Im
Klassenraum war es furchtbar stickig und sehr warm, als ob seit Ferienbeginn
kein Fenster mehr geöffnet worden war. Es roch unangenehm nach Schweiß,
eindeutig pubertierender Jungenschweiß, den ich auch gleich anhand von
Schwitzflecken unter den Armen lokalisieren konnte. Ich merkte wie mir immer
wärmer und wärmer wurde und erst machte ich mir noch Sorgen, was sie wohl über
mich denken würden, wäre ich die nächste im Bunde mit Schweißflecken unter den
Armen, doch dann traf es mich wie ein Stich ins Herz, als Herr Schmidt mich vor
allen bloß stellte.
„Sie ist vor ein paar Wochen nach Kaltenbach gezogen…“
Sofort ging ein lautes Raunen durch den Raum, einige tuschelten, sahen kurz zu
mir hoch und steckten dann die Köpfe wieder zusammen. Na super, versenkt,
vielen Dank auch Herr Schmidt! Das einhellige Gekicher bestätigte dann
meine Vorahnung, dass Kaltenbach nicht gerade der Reißer unter den Dörfern war.
Wer dorthin zog, musste ja sonderbar sein und so hatte ich schließlich für sie
auch ausgesehen: Mit meinen heißgeliebten weißen Cowboystiefeln und der
glatten, weinroten Lederimitat Hose, von der in der Stadt niemand auch nur eine
Notiz genommen hatte. Gekrönt wurde mein Outfit von meinem nicht weniger
ungewöhnlichen Lieblingsoberteil, einem echten Matrosenshirt in blau-weiß, mit
großem Kragen, der sich weit über die Schultern legte. Wäre mir bewusst
gewesen, wie ungewöhnlich meine Kleidung hier auf dem Lande auf andere wirkte
und welche Blicke sie auf mich ziehen würde, hätte ich mich ihrer sofort
entledigt. Ich wollte einfach nur im Strom mit schwimmen, nur nicht auffallen.
Jedenfalls nicht negativ. Aber das war ja jetzt, dank Herrn Schmidt, sowieso
durch. Schadensbegrenzung hieß die Devise.
Während ich noch lässig auf meinem Kaugummi herum kaute, um mir nicht anmerken
zu lassen wie nervös ich wirklich war, nahm ich meinen weißen Aktenkoffer
wieder zur Hand, den ich kurz zuvor neben mir auf dem Boden abgestellt hatte.
Zielgerichtet schaute ich an die Wand neben mir, um mich an irgendetwas
festhalten zu können, und sei es auch nur mit den Augen. Angestrengt versuchte
ich eine der vielen Flaggen auf der großen Weltkarte zuzuordnen, die ich gerade
an der Wand erspäht hatte und an der ich mich jetzt regelrecht festbiss. So
lange, bis mir Herr Schmidt einen Platz zuwies, der sich genau vor dem
Lehrerpult neben einem Mädchen namens Tina befand.
Ich konnte den Stempel regelrecht spüren, den sie mir aufgrund meines
sonderbaren Äußeren gerade aufgedrückt hatten. Erleichtert atmete ich auf, als
sich ihre Gesichter schließlich von mir abwendeten und zur Tafel wanderten,
denn endlich stand ich nicht mehr im Mittelpunkt.
Die Mädchen waren eine eingeschworene Gemeinschaft und gingen schon seit der
Grundschule in ein und dieselbe Klasse. Niemand sprach mich an, deshalb beschloss
ich auch niemanden zu belästigen und folgte einfach nur dem Unterricht.
Als endlich der erlösende Gong zur Pause ertönte, lief ich schnell auf den
Schulhof zu Robert, um zu sehen ob es ihm ähnlich ergangen war. Doch er stand, von
einer Schar Mitschüler umringt, mitten auf dem Schulhof und unterhielt sich angeregt.
Die meisten waren weiblichen Geschlechts und ließen sich begeistert über seine
Ähnlichkeit zu Tom Cruise aus. Wie immer hatte er kein Problem damit auf andere
zuzugehen und integrierte sich deshalb sehr schnell. Warum konnte ich nicht nur
ein bisschen so
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