Ein Hauch Vanille (German Edition)
genug
Selbstvertrauen über diesen Dingen zu stehen. Wovon ich meilenweit entfernt war
und dafür bewunderte ich sie.
Mit einem breiten Grinsen im Gesicht, welches einer Lähmung glich, begrüßte uns
Herr Schmidt tagtäglich in seiner frohnatürlichen Art vor dem Klassenzimmer.
Seine gute Laune wirkte jedes Mal ansteckend auf mich, was vor allem Montagmorgens
gut tat.
Wir rechneten in Mathe gerade Gleichungen mit der Exponentialfunktion F(x), als
ich seinen Blick in meinem Nacken spürte. Er war wieder einmal auf Fehlersuche.
Mit prüfendem Blick ging er durch die Reihen, blieb neben mir stehen und zeigte
mit dem Finger auf die Umkehrkurve in meinem Heft.
„Wenn der Sy gegeben ist, dann kannst du ihn ablesen“, erklärte er gönnerhaft.
Dabei spuckte er auf mein Rechenheft und ging einfach weiter. Ich konnte es
nicht fassen! Er musste es gesehen haben, so blind konnte er doch nicht sein,
denn es war kein kleiner Spritzer den man vielleicht einfach mal so hätte übersehen
können, sondern es waren viele große Speicheltropfen. Bei dem Gedanken, die
Spucke selbst wegwischen zu müssen, ekelte es mich und ich bekam eine
Gänsehaut. Wie konnte er einfach so tun, als würde es ihn nichts angehen?
Innerlich war ich hin und her gerissen, sollte ich etwas sagen oder wie er,
einfach darüber hinwegsehen? Mit den Händen suchte ich vergebens in meiner
Jeans nach einem Taschentuch. Wie immer... Warum stecke ich mir nie eines
ein? Schicksal , dachte ich, dann soll es wohl so sein .
Die Hände über Kreuz hinter seinem moosgrünen, altmodischen Pullunder gefaltet,
den Blick rechts und links schweifend, entfernte er sich langsam von mir, bis
ihn meine Stimme stoppte und zusammenzucken ließ.
„He, was soll denn das?“ rief ich ihm empört hinterher und wies mit dem Finger
auf die Speicheltropfen in meinem Heft. Herr Schmidt drehte sich sofort zu mir
um, als hätte er bereits darauf gewartet und eilte schnell herbei. Es war ihm
sichtlich peinlich und er errötete sofort, als er einen Blick in mein Heft warf
und dabei hektisch nach allen Seiten schaute. Mit einigen kurzen Lachern, die
mich stark an das Glucksen von Dieter Hallervorden erinnerten, versuchte er die
Situation zu überspielen. Er beugte sich zu mir hinunter und versuchte die
Flecken mit dem Hemd seines Unterarms wegzuwischen. Dabei sah er immer wieder
zu den anderen Schülern und griente verlegen. Sein Versuch endete damit, dass
meine ganze Tinte verwischte und alles völlig verschmierte.
Ohne zu überlegen, raunzte ich ihn an.
„Toll gemacht!“ Was ihm so unangenehm war, dass er nun wie ein kleiner
ausgeschimpfter Junge da stand und den Kopf senkte. Weshalb er mir im
Nachhinein unendlich leid tat und ich mir wünschte, doch lieber nichts gesagt
zu haben. Die anderen jedoch klopften sich grölend auf die Schenkel. Lautes Gelächter
erfüllte den Raum und erst damit war ich wirklich in der Klasse integriert. In
der Pause bildete sich eine große Traube Schüler um mich herum. Sogar Colin,
der Beau der Schule, klopfte mir anerkennend auf die Schulter.
„Na, Lilly, da hat der Schmidt ja ganz schön doof aus der Wäsche geguckt. Das
alte Lama spuckt jetzt sicher nicht nochmal.“
Ich lächelte gequält, erwiderte aber nichts. Vielleicht saß auch einfach der
Schock so tief, von ihm angesprochen worden zu sein.
Und da es so gut ankam so vorlaut zu sein und es auch in Zukunft jeder von mir
erwarten würde, beschloss ich diese Schiene auch in Zukunft weiter zu fahren.
Nach
der Schule stand ich wie jeden Tag an der Bushaltestelle in der Schlange. Nur
fühlte ich mich heute stärker als sonst. Es konnte mir nichts passieren.
Niemand konnte mir etwas anhaben, nicht einmal Michael würde es heute schaffen
ein Problem zu sein.
Vor
mir in der Schlange stand Peter, der trotz seiner körperlichen Behinderung in
unsere Schule ging. Er besuchte die Jahrgangsstufe unter mir und war ein sehr
guter Schüler. Integriert war er dennoch nicht, aber akzeptiert. Niemand zog
ihn wegen seiner dicken Hornbrille, oder der Hasenscharte auf, aufgrund dessen
er undeutlich sprach. Auch die Fehlstellung seiner Beine, die ihn zu einem
auffälligen Gang zwang, war für niemanden ein Thema. Außer für den
fünfzehnjährigen Tim, der hohlsten Nuss auf Erden, dumm wie zehn Meter
Feldweg. Jeder, der in den Bus einstieg, wurde von ihm beäugt,
Weitere Kostenlose Bücher