Ein Hauch Vanille (German Edition)
sie mich an Geier und auch ihr mit unzähligen
Warzen überzogener Glatzkopf machte sie nicht gerade schöner. Unter dem Hals
trugen sie einen knallroten Hautlappen, der aussah wie ein Hodensack, dem die
Luft ausgegangen war. Diesen Anblick kannte ich, hatte ich ihn doch bei einem von
Roberts zahlreichen Unfällen schon einmal zu Gesicht bekommen.
Gerade hatte ich aufgrund ihrer Hässlichkeit noch Mitleid mit ihnen, da baute
sich plötzlich der Puter vor mir auf. Er breitete seine hinteren Federn zu
einem Rad aus, schlug die Flügel auseinander und machte mit ihnen mächtig viel
Wind. Während ich um mein Leben rannte, sprang er mich mit den Füßen
hinterrücks an und hackte mit dem Schnabel nach mir. Ich spürte seine immense
Kraft und konnte mich nur schwer auf den Beinen halten. Mit seinem Glucksen im
Nacken hetzte er mich aus dem Garten. Unter Todesangst erreichte ich im letzten
Moment das Gatter. Als er mich im rettenden Ziel vor Augen sah, machte er
sofort wieder kehrt, jegliche Aggression wich von ihm, denn er hatte sein Ziel
erreicht, sein Territorium erfolgreich verteidigt. Und wie! Denn ich beschloss
nie wieder einen Fuß in den Garten zu setzen. Mit
noch rasendem Herzschlag ging ich wieder in Richtung Haus und sah Michael am
Fenster frohlocken. Er hatte sich prächtig über das Geschehen amüsiert und
kippte nun das Fenster, um seinen Kommentar los zu werden.
„Ja Dicke, der ist besser als ein Wachhund“, rief er mir triumphierend entgegen
und lachte lauthals. Wenn Blicke jedoch töten könnten, wäre er spätestens in diesem
Moment tot umgefallen, so bitterböse nahm ich ihn ins Visier. Lieblos grinste
ich zurück und zog die Oberlippe hoch. Blöder Sack, hättest mich ja
wenigstens mal warnen können, dachte ich. Doch das wäre ja nicht er ….
Weil
ich diese Woche Stubenarrest hatte, musste ich Tina für heute Nachmittag
absagen. Noch schlimmer aber war, Shane nicht sehen zu können. Ob er mich auch
vermisst? fragte ich mich, während ich nach der Schule in der Warteschlange
für den Bus stand und wieder einmal vor mich hin träumte. Tim, der als Erster
in der Schlange stand, hetzte die Stufen hinauf, als gäbe es einen Preis zu
gewinnen. Wie immer saß er in der ersten Reihe. Gemächlich stieg ich die Stufen
empor. Als Tim mich kommen sah, nahm er sofort schützend seine Hand vor die
Nase. Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen, sah ihn aber nicht an. Er
sagte kein Wort und wagte es auch nicht mich anzufassen oder irgendeinen
Kommentar abzugeben. Als ich mich setzte, machte er aber in alter Manier
weiter.
„Mach hin, Lahmarsch“, hörte ich ihn sagen und schüttelte nur den Kopf. „Nix
dazu gelernt “, murmelte ich. Die Knie auf den Vordersitz gestützt, sah
ich entspannt aus dem Fenster als wir das Ortsschild von Kaltenbach
passierten, von wo aus ich schon unser Haus sehen konnte. Ich betrachtete das
kleine Dörfchen und dachte, dass es doch eigentlich ganz idyllisch lag, hier
oben. Außerdem wäre ich ihm jasonst nie begegnet. Alles hatte
doch auch immer etwas Positives, denn Shane gab mir Kraft. Michael konnte mich
nicht mehr so verletzen, wie er es früher getan hatte. Ich ließ es einfach
nicht mehr zu und dies schien er auch langsam zu merken.
Der
Bus hielt an der Haltestelle am Fuße des Ortes und fünf Kinder stiegen aus. Weil
ich so in meinen Gedanken verloren war, musste ich mich beeilen. Ich griff schnell
nach meinem Rucksack und sprang regelrecht aus meinem Sitz, bevor sich die
Türen wieder schließen konnten.
Zu
unserem Haus führte eine zwanzig Meter lange, steile, geteerte Straße an vier
Nachbarhäuser vorbei. Was für mich jedes Mal ein Spießrutenlauf bedeutete.
Jeden, der mir begegnete, grüßte ich nur mit einem kurzen „ Hallo!“ und
schaute gleich wieder in eine andere Richtung, um zu zeigen, dass ich keinen
Wert auf Kommunikation legte, weil ich einfach kein Typ für Small Talk war. Oberflächliches
Geplänkel über Sachen, die niemanden wirklich interessieren, wie über das
Wetter reden, nur des Redens wegen, war mir einfach zuwider.
Manchmal konnte man sich ihrer aber nicht einmal mit einfachem Weggehen oder
völligem Ignorieren erwehren. Sie waren wie Paparazzi, die einem sogar bis zur
Haustür folgten. In diesen und in vielen anderen Momenten sehnte
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