Ein Hauch von Moder
den Böcken und winkten uns zu.
Alte Wegkreuze, mit graugrünem Moos überwachsen, moderten förmlich dahin. Sie waren oft uralt und standen schief. Manchmal wirkten sie wie erstarrte Arme.
»Halt mal an!« sagte Suko und deutete nach links. Ich stoppte neben dem uralten Wegweiser, der mich in seiner Form schon an den schiefen Turm von Pisa erinnerte. »Bury«, entzifferte Suko. »Wir sind auf dem richtigen Weg.«
Man hatte den Wegweiser nicht ohne Grund aufgestellt. Ein Pfad führte auch in die andere Richtung, tiefer in das Tal hinein, und näherte sich dem See mit seinem blaugrünen Wasser, dessen Oberfläche der Wind kräuselte.
Die Anzahl der Meilen war auf dem Wegweiser leider nicht angegeben worden. Der Karte nach zu urteilen, schätzten wir, daß wir noch rund fünf davon zu fahren hatten.
Noch immer mußte ich langsam fahren. Manche Schlaglöcher waren so lang, daß sie schon an Rinnen erinnerten. Wir krochen förmlich aus dem Tal hoch, unser Sichtfeld weitete sich, und der Blick fiel hinein in ein wunderbares Land.
Es war einfach herrlich.
Die Berge, die grünen Matten, der Himmel, das dunkle Wasser der kleinen Seen und die Dächer der Häuser, die den Ort Bury bildeten. Ein Kirchturm überragte alle anderen Bauten. Auf seiner Spitze stand ein Wetterhahn aus Metall.
Ich hielt an.
»Was hast du?«
Die Antwort bekam Suko erst, als ich neben dem Wagen stand. »Schau mal nach links, die Bergflanke entlang.«
Suko stellte sich neben mich, nickte und bekam große Augen. »Mein lieber Schwan, das ist sie.«
»Richtig!«
Es war keine stolze, mächtige Burg mehr, aber die Umrisse konnten wir noch gut erkennen. Hohe Mauern, Fragmente eines Turmes und darüber der weite Himmel, tier wie gespannt wirkte.
»Nicht schlecht«, sagte Suko. »Ich glaube, da führt sogar ein Weg hoch.«
»Kann sein.«
»Und der endet in Bury.«
Wir stiegen wieder ein. Bevor ich startete, warf ich noch einen letzten Blick nach links. Da sah ich sie.
Zuerst waren es nur mehr Nebelflecken, ich dachte mir auch nichts dabei. Dann erkannte ich, daß sich die Nebelflecken von der alten Burg wegbewegten.
Sie näherten sich dem Dorf.
Auch Suko war aufmerksam geworden. Er suchte nach einer Erklärung, die wir beide nicht hatten, bis ich leise sagte: »Das sieht aus, als wären es Reiter.«
»Meine ich auch.«
Sie waren bald verschwunden, als hätte sie der Wind aufgelöst. »Waren das die Verdammten der Totengruft?«
Ich hob die Schultern. »Rechnen müssen wir damit. Vielleicht bekommen wir in Bury die entsprechenden Auskünfte.«
Ich hatte schon zahlreiche einsame Orte in Schottland kennengelernt, doch Bury gehörte zu den verschlafensten. Daß es dort überhaupt Autos gab, überraschte mich sehr. Wir sahen vier Wagen am Straßenrand stehen. Zwei davon alte LKWs. Zudem standen sie auf dem Gelände einer Reparaturwerkstatt. Ein Mann im blauen Overall, der einen Schraubenschlüssel in der Hand hielt, starrte uns nach, als wären wir Besucher von einem anderen Stern.
Wir rollten tiefer in den Ort.
Viel sahen wir nicht. Die Häuser stammten aus einer anderen Zeit. Sie waren sehr alt und hatten längst Patina angesetzt. Das einst graue Gestein war feucht geworden. Moos und Flechten hatten die Schichten gebildet, die sich auch auf dem Dach ausbreiteten. Über Bury schwebten dicke, schwarze Krähen. Ihre krächzenden Laute fielen als Schall in die Tiefe. Für manche Menschen waren diese Tiere Boten des Unheils — Toten vögel.
Teilweise war die Straße provisorisch gepflastert. Wir kamen uns während der langsamen Fahrt vor wie in einer Schaukel sitzend. Es gibt eine alte Regel, die wir immer einhielten, wenn wir in einen fremden Ort fuhren. Zunächst war der Marktplatz Anlaufstation und dann ein Gasthof.
Nach einem Marktplatz suchten wir vergebens. Einen Gasthof fanden wir allerdings. Davor ließen wir den Wagen ausrollen. Platz war genug vorhanden, das Gebäude stand nicht direkt an der Straße. Als wir ausstiegen, fiel uns die Feuchtigkeit auf. Zuvor hatten wir sie nicht bemerkt. Jetzt legte sie sich wie ein dünner Schleier auf Kleidung und Haut.
Es gab auch Menschen hier. Natürlich hatten sie unsere Ankunft bemerkt. In respektvoller Entfernung waren sie stehengeblieben und beobachteten uns.
Männer, Frauen und Kinder. Zweckmäßig gekleidet, nicht der Mode unterworfen. Wer hier lebte, für den zählte die Natur und nicht die nebensächlichen Dinge eines Großstadtmenschen.
Vom Kirchturm bimmelte es dreimal.
Früher
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