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Ein Hauch von Schnee und Asche

Ein Hauch von Schnee und Asche

Titel: Ein Hauch von Schnee und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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bereit, das Risiko einzugehen, Fraser’s Ridge zu verlassen, um Lionel Brown an einen anderen Ort zu bringen.
    »Oh.« Ich schluckte und lenkte ein wenig vom Thema ab.
    »Warum hast du Ian gesagt, dass ich Mr. Brown nicht sehen darf?«
    »Das habe ich nicht gesagt. Aber ich halte es für besser, wenn du ihn nicht siehst, das ist wahr.«
    »Weil?«
    »Weil du einen Eid abgelegt hast«, sagte er und klang etwas überrascht, dass ich nicht automatisch darauf gekommen war. »Kannst du es ertragen, einen Verletzten zu sehen und ihn leiden zu lassen?«
    Die Salbe war fertig. Ich wickelte seinen Finger aus, der aufgehört hatte zu bluten, und drückte so viel Salbe wie möglich unter den beschädigten Nagel.
    »Wahrscheinlich nicht«, sagte ich und hielt den Blick auf meine Arbeit gerichtet. »Aber warum -«
    »Wenn du ihn behandelst und pflegst – und ich dann beschließe, dass er sterben muss?« Er ließ seinen Blick fragend auf mir ruhen. »Wie wäre das für dich?«
    »Nun, das wäre ein wenig unangenehm«, sagte ich und holte tief Luft, um das Gleichgewicht wiederzufinden. Ich wickelte einen schmalen Leinenstreifen um den Nagel und verknotete ihn. »Aber trotzdem…«
    »Trotzdem möchtest du dich um ihn kümmern? Warum?« Er klang neugierig, aber nicht wütend. »Ist dein Eid denn so stark?«
    »Nein.« Ich stützte mich mit beiden Händen an der Tischkante ab; meine Knie schienen plötzlich nachzugeben.
    »Weil ich froh bin, dass sie tot sind«, flüsterte ich mit gesenktem Kopf. Meine Hände waren wund, und ich arbeitete ungeschickt, weil meine Finger immer noch geschwollen waren; tiefrote Striemen waren immer noch in die Haut meiner Handgelenke gegraben. »Und ich empfinde große -« Was? Angst; Angst vor den Männern, Angst vor mir selbst. Eine grauenhafte Art von Erregung. »Scham«, sagte ich. »Ich schäme mich furchtbar.« Ich blickte zu ihm auf. »Und das hasse ich.«
    Er hielt mir die Hand entgegen und wartete. Er war so klug, mich nicht zu berühren; ich hätte in dieser Minute keine Berührung ertragen. Ich ergriff sie nicht, nicht sogleich, obwohl ich es gern getan hätte. Ich wandte den
Blick ab und redete mit Hochgeschwindigkeit auf Adso ein, der auf der Arbeitsplatte erschienen war und mich mit seinem unergründlichen, grünen Blick betrachtete.
    »Wenn ich – ich denke pausenlos… wenn ich ihn sähe, ihm helfen würde – Himmel, nicht, dass ich das will , ganz und gar nicht! Aber wenn ich es könnte – dass es vielleicht… irgendwie helfen würde.« Dann blickte ich auf und fühlte mich von den Toten heimgesucht. »Abbitte zu leisten.«
    »Weil du froh bist, dass sie tot sind – und weil du dir auch seinen Tod wünschst?«, fragte Jamie sanft.
    Ich nickte und fühlte mich, als sei ein kleines, schweres Gewicht von mir genommen worden, als er diese Worte aussprach. Ich konnte mich nicht erinnern, seine Hand ergriffen zu haben, aber sie hielt die meine fest umfasst. Blut sickerte durch den Verband an seinem Finger, doch er beachtete es nicht.
    » Möchtest du ihn töten?«, fragte ich.
    Er sah mich lange an, bevor er antwortete.
    »Oh, aye«, sagte er ganz leise. »Aber im Moment ist sein Leben die Garantie für deins und Marsalis. Vielleicht für uns alle. Und deshalb bleibt er am Leben. Vorerst. Aber ich werde ihm Fragen stellen – und ich werde Antworten erhalten.«
    Ich nickte wortlos, und er stand auf, um zu gehen. Doch mir kam noch ein Gedanke.
    »Jamie!«
    »Aye?« Er drehte sich mit hochgezogenen Augenbrauen um.
    »Wo wir gerade von Antworten reden…« Mein Magen war verknotet und ballte sich jetzt noch fester zusammen, doch ich musste ihn fragen. »Als du – als wir… uns die Toten angesehen haben. Kannst du dich erinnern, ob einer von ihnen Indianer war? Ziemlich jung, mit langem, buschigem Haar?«
    Im ersten Moment war seine Miene verständnislos, doch dann runzelte er konzentriert die Stirn. Die beiden steifen Finger seiner rechten Hand klopften gegen seinen Oberschenkel, und er schüttelte den Kopf.
    »Das kann ich nicht sagen. Ich kann mich nicht an einen solchen Mann erinnern – aber ich habe die Toten nicht alle selbst gesehen. Warum?«
    Ich hob den Deckel von meinem Blutegelgefäß und stieß einen seiner Bewohner sanft an. Er regte sich faul und entfaltete sich.
    »Ich – ich sage es dir später. Du hast jetzt zu tun.« Mein Mund fühlte sich trocken an. »Wenn – wenn es Mr. Brown sehr schlecht geht, Jamie, komm mich holen. Bitte?«
    »Das werde ich«, sagte er. Er zog

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