Ein Hauch von Schnee und Asche
nicht, dass er…«
Etwas veränderte sich hinter Ians Augen, als er begriff, was ich sagte. Er presste die Lippen fest zusammen, und er nickte.
»Gut für ihn«, sagte er knapp.
»Auch gut«, kam Fergus’ Echo, »aber ich glaube nicht, dass es letztendlich eine Rolle spielen wird. Wir haben die anderen getötet – warum sollte er am Leben bleiben?« Er stieß sich vom Tisch ab und ließ seinen Kaffee stehen. »Ich denke, ich gehe jetzt, Vetter.«
»Aye? Dann begleite ich dich.« Ian schob seinen Teller von sich und nickte mir zu. »Kannst du Onkel Jamie sagen, dass wir schon vorgegangen sind, Tante Claire?«
Ich nickte dumpf und beobachtete sie, wie sie nacheinander unter der großen Kastanie verschwanden, die den Weg zur Hütte der Bugs überwucherte. Ich stand mechanisch auf und begann, die Überreste des improvisierten Frühstücks wegzuräumen.
Ich war mir gar nicht sicher, ob mich Mr. Browns Schicksal besonders interessierte oder nicht. Einerseits missbilligte ich Folter und kaltblütigen Mord schon aus Prinzip. Andererseits … stimmte es zwar, dass Brown mich nicht persönlich vergewaltigt oder verletzt hatte und er in der Tat versucht hatte , Hodgepile zu meiner Freilassung zu bewegen – doch hinterher hatte er lauthals für meine Ermordung gestimmt. Und ich hegte nicht den geringsten Zweifel, dass er mich in der Schlucht ertränkt hätte, wenn Tebbe sich nicht eingemischt hätte.
Nein, dachte ich, während ich meine Tasse vorsichtig spülte und an meiner Schürze abtrocknete, vielleicht interessierte mich Mr. Brown wirklich nicht besonders.
Dennoch fühlte ich mich beklommen und aufgewühlt. Was mich eher interessierte, begriff ich, waren Ian und Fergus. Und Jamie. Es war schließlich so, dass es etwas anderes war, einen Mann in der Hitze des Gefechts umzubringen als ihn zu exekutieren. Und ich wusste das. Wussten sie es auch?
Nun, Jamie schon.
»Und möge dein Schwur mich erlösen.« Das hatte er mir zugeflüstert, in der Nacht zuvor. Es war sogar das Letzte, was er gesagt hatte, woran ich mich erinnern konnte. Nun, schön und gut; aber ich hätte es doch vorgezogen, wenn das Bedürfnis nach Erlösung gar nicht erst entstand. Und was Ian und Fergus anging…
Fergus hatte in der Schlacht von Prestonpans gekämpft, als er zehn war. Ich konnte mich gut an das Gesicht des kleinen, französischen Waisenkindes erinnern, das mich rußverschmiert und benommen vor Schreck und Erschöpfung
von einer eroberten Kanone herab ansah. Ich habe einen englischen Soldaten getötet, Milady , hatte er zu mir gesagt. Er ist gestürzt, und ich habe ihn mit meinem Messer erstochen.
Und Ian, der als Fünfzehnjähriger Reuetränen weinte, weil er glaubte, unabsichtlich einen Einbrecher in Jamies Druckerei umgebracht zu haben. Weiß Gott, was er seitdem alles getan hatte; er redete nicht darüber. Plötzlich sah ich Fergus’ Haken vor mir, mit dunklem Blut verklebt, und Ians Umriss in der Nacht. Und ich , hatte er Jamies Worte wiederholt. Ich bin es, der für sie tötet.
Es war 1773. Und am 18. April 1775… Der Schuss, der um die Welt ging, wurde bereits geladen. Im Zimmer war es warm, doch ich erschauerte krampfhaft. Wovor in Gottes Namen glaubte ich, sie abschirmen zu können? Ganz gleich, wen von ihnen.
Plötzliches Gebrüll auf dem Dach ließ mich aus meinen Gedanken aufschrecken.
Ich ging vor die Tür, spähte nach oben und hielt mir zum Schutz gegen die Morgensonne eine Hand über die Augen. Jamie saß rittlings auf dem Dachfirst und wiegte sich vor und zurück. Dabei hielt er eine Hand an seinen Bauch gepresst.
»Was ist denn da oben los?«, rief ich.
»Ich habe mir einen Splitter eingefangen«, kam die gereizte Antwort, offenbar mit zusammengebissenen Zähnen.
Ich hätte gern gelacht, ließ es aber.
»Nun, dann komm herunter. Ich ziehe ihn dir heraus.«
»Ich bin aber noch nicht fertig!«
»Das ist mir egal!«, sagte ich und verlor plötzlich die Geduld mit ihm. »Komm sofort herunter. Ich will mit dir reden.«
Ein Beutel mit Nägeln fiel plötzlich klirrend ins Gras, und der Hammer folgte sofort.
Nun gut. Eins nach dem anderen.
Technisch gesehen war es wohl ein Splitter. Es war ein fünf Zentimeter langes Stück Zedernholz, und er hatte es vollständig unter den Nagel seines Mittelfingers getrieben, fast bis zum ersten Fingergelenk.
»Jesus H. Roosevelt Christ!«
»Aye«, pflichtete er mir etwas blass um die Nase bei. »So könnte man es formulieren.«
Das vorstehende Ende war zu klein, um es
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