Ein Hauch von Schnee und Asche
offene Fenster und begab mich entschlossen in eine Welt, die weit von der meinen entfernt lag.
Ich verlor jedes Zeitgefühl und bewegte mich nur, um die Insekten zu vertreiben, die durch das offene Fenster hereinkamen, oder um Adso geistesabwesend den Kopf zu kraulen, wenn er mich anstupste. Dann und wann driftete mir ein Gedanke an Jamie und Lionel Brown durch den Hinterkopf, doch ich schob ihn jedes Mal beiseite wie die Grashüpfer oder Mücken, die auf meiner Buchseite landeten. Was auch immer in der Hütte der Bugs geschah, war schon geschehen oder würde geschehen – ich konnte mich einfach nicht damit befassen. Während des Lesens bildete sich die Seifenblase um mich herum von neuem, angefüllt mit vollkommener Stille.
Die Sonne hatte ihren Weg am Himmel schon halb hinter sich, als sich ein schwaches Hungergefühl regte. Erst als ich aufblickte, mir die Stirn rieb und mich abwesend fragte, ob wohl noch Schinken übrig war, sah ich, dass ein Mann in der Tür zum Sprechzimmer stand.
Ich schrie auf und sprang hoch, und Henry Fielding segelte durch das Zimmer.
»Bitte um Verzeihung, Mistress!«, platzte Thomas Christie heraus, Er sah beinahe genauso erschrocken aus, wie ich mich fühlte. »Ich wusste nicht, dass Ihr mich nicht gehört hattet.«
»Nein. Ich – ich – habe gelesen.« Ich zeigte wie ein Idiot auf das Buch auf dem Boden. Mein Herz hämmerte, und das Blut rauschte scheinbar ziellos in meinem Körper hin und her, so dass mein Gesicht errötete, meine Ohren dröhnten und meine Finger kribbelten, ohne dass ich es hätte kontrollieren können.
Er bückte sich, um das Buch aufzuheben, und strich den Umschlag mit der Sorgfalt eines Menschen glatt, der Bücher zu schätzen weiß, obwohl das Buch selbst schon mitgenommen war und sein Umschlag mit Ringabdrücken übersät war, weil jemand feuchte Gläser oder Flaschen darauf abgestellt hatte. Jamie hatte es als Teil der Bezahlung für eine Ladung Kaminholz vom Betreiber eines Wirtshauses in Cross Creek bekommen; ein Gast hatte es vor Monaten dort liegen gelassen.
»Ist denn niemand hier, der sich um Euch kümmert?«, fragte er und sah sich stirnrunzelnd um. »Soll ich meine Tochter holen gehen?«
»Nein. Ich meine – ich brauche niemanden. Es geht mir gut. Was ist mit Euch?«, fragte ich schnell, um weiteren Äußerungen der Besorgnis zuvorzukommen. Er warf einen Blick auf mein Gesicht, dann wandte er hastig die Augen ab. Als er sie sorgfältig auf die Gegend meines Schlüsselbeins gerichtet hatte, legte er das Buch auf den Tisch und hielt mir seine rechte Hand hin, die in ein Tuch gewickelt war.
»Ich bitte um Verzeihung, Mistress. Ich würde hier nicht so eindringen, aber…«
Ich war schon dabei, die Hand auszuwickeln. Er hatte sich den Einschnitt aufgerissen – wahrscheinlich, so begriff ich mit einem kleinen Krampf im Bauch, im Lauf des Kampfes mit den Banditen. Die aufgeplatzte Wunde stellte kein großes Problem dar, doch es war Schmutz in die Wunde geraten, deren Ränder rot klafften, und die rohen Oberflächen waren mit einem Eiterfilm überzogen.
»Ihr wärt besser sofort gekommen«, sagte ich, doch lag nichts Tadelndes in meiner Stimme. Ich wusste sehr genau, warum er das nicht getan hatte – und ich wäre auch gar nicht in der Lage gewesen, mich um ihn zu kümmern, wenn er früher aufgetaucht wäre.
Er zuckte kurz mit den Achseln, bemühte sich jedoch nicht um eine Antwort. Ich wies ihm einen Platz zum Hinsetzen an und holte die notwendigen Utensilien. Zum Glück war noch etwas von der antiseptischen Salbe übrig, die ich für Jamies Splitter angerührt hatte. Das, eine schnelle Spülung mit Alkohol, ein sauberer Verband …
Er schlug langsam mit gespitzten Lippen die Seiten von Tom Jones durch. Offenbar reichte Henry Fielding heute als Narkosemittel aus; es würde nicht nötig sein, dass ich eine Bibel holte.
»Lest Ihr gern Romane?«, fragte ich. Ich meinte es nicht unhöflich, sondern war lediglich nur überrascht, dass er nur einen Gedanken an etwas so Frivoles verschwendete.
Er zögerte. »Ja. Ich – ja.« Er holte sehr tief Luft, als ich seine Hand in die Schale tauchte, aber diese enthielt nur Wasser, Seifenwurz und eine geringe Menge Alkohol, und er atmete mit einem Seufzer wieder aus.
»Habt Ihr Tom Jones schon gelesen?«, fragte ich, damit er sich im Gespräch entspannte.
»Nicht ganz, obwohl ich die Handlung kenne. Meine Frau -«
Er hielt abrupt inne. Er hatte seine Frau noch nie erwähnt; ich vermutete, dass es
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