Ein Hauch von Schnee und Asche
mit den Fingern zu packen. Ich zerrte ihn ins Sprechzimmer und riss den Splitter mit der Pinzette heraus, bevor jemand pieps sagen konnte. Jamie sagte eine ganze Menge mehr als pieps – zum Großteil auf Französisch, welches sich hervorragend zum Fluchen eignet.
»Du wirst den Nagel verlieren«, merkte ich an, während ich den verletzten
Finger in eine kleine Schale mit Alkohol und Wasser tauchte. Blut quoll auf wie die Tinte eines Tintenfischs.
»Zum Teufel mit dem Nagel«, sagte er und knirschte mit den Zähnen. »Schneide den ganzen verdammten Finger ab, dann habe ich es hinter mir! Merde d’chèvre! «
»Bei den Chinesen war es üblich – oder nein, ich nehme an, sie tun es wohl immer noch -, den Leuten Bambussplitter unter die Fingernägel zu schieben, um sie zum Reden zu bringen.«
»Himmel! Tu me casses les couilles! «
»Offenbar eine sehr wirkungsvolle Technik«, sagte ich. Ich hob seine Hand aus der Schale und wickelte den Finger fest in einen Leinenstreifen. »Wolltest du sie ausprobieren, bevor du sie bei Lionel Brown einsetzt?« Ich versuchte, beiläufig zu klingen, und hielt meine Augen auf seine Hand gerichtet. Ich spürte, wie er seinen Blick auf mich heftete, und er schnaubte.
»Was in aller Welt hat der gute Ian dir erzählt, Sassenach?«
»Dass du vorhast, den Mann zu befragen – und Antworten zu bekommen.«
»So ist es, und das werde ich«, sagte er knapp. »Und?«
»Fergus und Ian schienen überzeugt zu sein, dass – du bereit sein könntest, jedes nötige Mittel zu ergreifen«, sagte ich sehr vorsichtig. »Sie brennen geradezu darauf, dir zu helfen.«
»Das kann ich mir vorstellen.« Der erste Schmerz hatte etwas nachgelassen. Er atmete jetzt tiefer, und sein Gesicht bekam allmählich wieder Farbe. »Fergus hat das Recht dazu. Es war seine Frau, die angegriffen worden ist.«
»Ian ist mir…« Ich zögerte, weil ich nach dem richtigen Wort suchte. Ian war mir so ruhig vorgekommen, dass es beängstigend war. »Du hast Roger nicht gebeten, dir bei dem – dem Verhör zu helfen?«
»Nein. Noch nicht.« Sein Mundwinkel verzog sich. »Roger Mac ist nicht der Richtige, um jemandem Angst zu machen, es sei denn, er ist wirklich in Rage. Er hat nichts Falsches an sich.«
»Wohingegen du, Ian und Fergus…?«
»Oh, aye«, sagte er trocken. »Gerissen wie die Schlangen, alle miteinander. Man braucht ja nur einen Blick auf Roger Mac zu werfen, um zu sehen, wie sicher die Welt in ihrer Zeit sein muss, auf ihn und die Kleine. Eigentlich tröstlich«, fügte er hinzu, und die Falte um seinen Mundwinkel vertiefte sich. »Zu wissen, dass alles besser wird, meine ich.«
Ich konnte sehen, dass er versuchte, das Thema zu wechseln, und das war kein gutes Zeichen. Ich prustete leise auf, doch das schmerzte in meiner Nase.
»Und du bist nicht in Rage? Ist es das, was du mir sagen willst?«
Er prustete seinerseits mit mehr Erfolg, antwortete aber nicht. Er legte den Kopf schief und sah mir zu, während ich mir ein quadratisches Stück Gaze zurechtlegte und anfing, getrocknete Beinwellblätter darauf zu zerreiben.
Ich wusste nicht, wie ich ausdrücken sollte, was mir Kummer machte, doch er merkte eindeutig, dass es etwas gab.
»Wirst du ihn umbringen?«, fragte ich geradeheraus, während ich das Honigglas fixierte. Es war aus braunem Glas, und das Licht glühte hindurch, als sei es eine große Kugel aus klarem Bernstein.
Jamie saß still da und beobachtete mich. Obwohl ich nicht aufsah, konnte ich seinen spekulativen Blick spüren.
»Möglich«, sagte er.
Meine Hände hatten zu zittern begonnen, und ich presste sie auf die Tischplatte, um sie zur Ruhe zu bringen.
»Aber nicht heute«, fügte er hinzu. »Wenn ich ihn umbringe, werde ich es anständig machen.«
Ich war mir nicht sicher, ob ich hören wollte, wie seiner Meinung nach eine anständige Tötung aussah, aber er sagte es mir trotzdem.
»Wenn er von meiner Hand stirbt, wird es im Freien geschehen, vor Zeugen, die die Wahrheit kennen, und er wird aufrecht stehen und eine Waffe in der Hand haben. Ich will nicht, dass man sich erzählt, ich hätte einen wehrlosen Menschen getötet, ganz gleich, was für ein Verbrechen er begangen hat.«
»Oh.« Ich schluckte einen Anflug von Übelkeit herunter und griff nach einer Prise Schafgarbe, um sie der Salbe hinzuzufügen, die ich für Jamie zubereitete. Sie hatte einen schwach adstringierenden Geruch, der zu helfen schien.
»Aber – möglicherweise lässt du ihn doch am
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