Ein Hauch von Schnee und Asche
um alles«, sagte er dann und sah erst Ian, dann Roger an. »Mit etwas Glück fahren wir heute Abend.«
»Oh!« Eppie war schon aufgestanden, um Claire zu folgen, doch bei diesen Worten hob sie die Hand an den Mund und wandte sich an Jamie. »Oh! Mir ist noch etwas eingefallen.« Ihr sympathisches, rundes Gesicht setzte eine angestrengt konzentrierte Miene auf. »In der Nähe des Hauses auf Ocracoke gibt es Wildpferde; ich habe Stephen einmal davon sprechen hören.« Sie blickte vom einen Mann zum anderen. »Könnte das helfen?«
»Möglich«, sagte Roger. »Danke – und Gottes Segen.«
Erst als sie wieder im Freien waren und auf die Docks zuhielten, bemerkte er, dass er den Ring immer noch fest in der rechten Hand hielt. Was war es, das Ian gesagt hatte?
Man sucht sich einen Talisman aus – oder, um es richtig zu sagen, der Talisman sucht einen aus.
Seine Hände waren etwas kräftiger als Briannas, doch er steckte den Ring an seinen kleinen Finger und schloss die Hand darum.
Sie erwachte aus ihrem feuchten, unruhigen Schlaf, weil ihr Mutterinstinkt geweckt war. Sie war schon halb aus dem Bett und bewegte sich instinktiv auf Jemmys Bettchen zu, als eine Hand ihr Handgelenk packte, krampfhaft wie der Biss eines Krokodils.
Sie fuhr zurück, benommen und alarmiert. Über sich an Deck hörte sie Schritte, und jetzt begriff sie, dass das verstörte Geräusch, das sie geweckt
hatte, nicht von Jemmy gekommen war, sondern aus der Dunkelheit an ihrer Seite.
»Nicht gehen«, flüsterte er, und die Finger bohrten sich tief in die Haut an der Innenseite ihres Handgelenks.
Da sie sich nicht befreien konnte, streckte sie die andere Hand aus, um ihn von sich zu schieben. Sie berührte feuchtes Haar, heiße Haut – und einen Tropfen, kühl und überraschend unter ihren Fingern.
»Was ist denn?«, flüsterte sie zurück und beugte sich instinktiv über ihn. Sie streckte erneut die Hand aus, berührte seinen Kopf, strich ihm das Haar glatt – all die Dinge, auf die sie vorbereitet gewesen war, als sie aufwachte. Sie spürte, wie sich seine Hand auf sie legte, und dachte daran innezuhalten, tat es aber nicht. Es war, als ließe sich der mütterliche Trost, den sie verströmte, nicht wieder in ihr Inneres verbannen, genauso wenig, wie sich die Muttermilch, die beim Ruf eines Säuglings zu fließen begann, wieder an die Quelle zurückrufen ließ.
»Stimmt etwas nicht?« Sie sprach leise und so unpersönlich, wie es die Worte eben zuließen. Sie hob die Hand, und er wälzte sich auf sie zu und presste den Kopf fest an ihren Oberschenkel.
»Nicht gehen«, sagte er noch einmal, und seine Stimme überschlug sich – schluchzte er? Seine Stimme war leise und rau, doch so hatte sie sie noch nie gehört.
»Ich bin hier.« Ihr gefangenes Handgelenk wurde langsam taub. Sie legte ihm die freie Hand auf die Schulter, in der Hoffnung, dass er sie loslassen würde, wenn sie die Bereitschaft zu bleiben andeutete.
Er lockerte seinen Griff, aber nur, um die Hand auszustrecken, sie an der Taille zu fassen und sie wieder ins Bett zu ziehen. Sie leistete ihm Folge, weil ihr nichts anderes übrig blieb, und lag schweigend da, während sie Bonnets Atem rau und warm im Nacken spürte.
Schließlich ließ er los und drehte sich seufzend auf den Rücken, so dass sie sich bewegen konnte. Sie drehte sich ebenfalls vorsichtig auf den Rücken und versuchte, ein paar Zentimeter Abstand zu ihm zu halten. Mondlicht flutete silbern durch die Fenster des Achterschiffs, und sie konnte den Umriss seines Gesichts sehen, konnte das Licht auf Stirn und Wange glänzen sehen, als er den Kopf wandte.
»Schlecht geträumt?«, wagte sie sich vor. Sie hatte vorgehabt, sarkastisch zu klingen, doch ihr Herz raste noch vom Schreck des Erwachens, und die Worte bekamen einen zögerlichen Klang.
»Aye, aye«, sagte er und erschauerte seufzend. »Immer derselbe Traum. Er sucht mich wieder und wieder heim. Man sollte glauben, dass ich weiß, was los ist, und aufwache, aber das passiert nie. Erst wenn sich das Wasser über meinem Kopf schließt.« Er rieb sich die Nase und zog sie hoch wie ein Kind.
»Oh.« Sie wollte nicht nach Einzelheiten fragen, wollte ihn nicht zu weiterer
Intimität ermutigen. Doch was sie wollte, spielte schon lange keine Rolle mehr.
»Schon als Junge habe ich vom Ertrinken geträumt«, sagte er und seine normalerweise so selbstbewusste Stimme schwankte. »Die Flut kommt, und ich kann mich nicht bewegen – keinen Zentimeter. Das Wasser
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