Ein Hauch von Schnee und Asche
riesige Kiste mit einer Standuhr, deren vergoldetes Ziffernblatt – das mit drei beweglichen Segelschiffen auf einem Meer aus Silber verziert war – hinter den zum Schutz davorgenagelten Latten hervorlugte.
»Du da«, sagte er zu Brianna und ruckte mit dem Kinn. »Komm dich waschen.« Er sah Phaedre scharf an – Brianna merkte, dass sie seinem Blick auswich und hastig anfing, Stöckchen vom Boden aufzulesen.
Die Hand klammerte sich erneut um ihren Nacken, und er schob sie wie einen lästigen Esel zurück ins Haus.
Diesmal schloss Emmanuel ab. Er brachte ihr eine Schüssel zum Waschen und einen Krug, ein Handtuch und ein sauberes Hemd. Viel, viel später kam er zurück und brachte ihr ein Tablett mit etwas zu essen. Doch er ignorierte all ihre Fragen und verschloss die Tür wieder, als er ging.
Sie zog das Bett ans Fenster und kniete sich darauf, die Ellbogen zwischen die Gitterstäbe geklemmt. Ihr blieb nichts anderes zu tun als nachzudenken – etwas, das sie gerne noch ein bisschen aufgeschoben hätte. Sie beobachtete den Wald und den weiter entfernten Strand und verfolgte, wie die Schatten der Krüppelkiefern über den Sand krochen, die älteste Sonnenuhr der Welt, die das schneckengleiche Verstreichen der Stunden registrierte.
Nach einiger Zeit wurden ihre Knie taub, und ihre Ellbogen schmerzten; sie breitete den Umhang über die widerliche Matratze und versuchte, weder die diversen Flecken darauf noch den Geruch zu beachten. Sie legte sich auf die Seite und beobachtete den Himmel durch das Fenster, die fast unmerklichen Veränderungen des Lichtes von einem Moment zum nächsten, und dabei stellte sie sich bis ins Detail die einzelnen Pigmente und die genauen Pinselstriche vor, die sie benutzen würde, um es zu malen. Dann stand sie auf und begann, auf und ab zu schreiten. Dabei zählte sie ihre Schritte und schätzte die Entfernung.
Hoffentlich lag Bonnets Zimmer genau unter ihr.
Doch es war alles nicht genug, und als es dunkler im Zimmer wurde und ihre Berechnungen etwa zwei Meilen erreicht hatten, kam sie an Roger nicht mehr vorbei – sie hatte ihn sowieso schon die ganze Zeit im Kopf gehabt, allerdings seine Gegenwart hartnäckig geleugnet.
Sie ließ sich wieder auf das Bett sinken. Vom Umherwandern war ihr heiß, und sie sah zu, wie die letzten flammenden Farben vom Himmel verschwanden.
War er inzwischen ordiniert, wie er es sich so sehr gewünscht hatte? Er hatte sich Sorgen wegen der Frage der Prädestination gemacht, weil er sich nicht sicher war, das heilige Amt, nach dem er strebte, antreten zu können, wenn er nicht von ganzem Herzen hinter dieser Vorstellung stand – nun, sie nannte es eine Vorstellung; für einen Presbyterianer war es ein Dogma. Sie lächelte ironisch und dachte an Hiram Crombie.
Ian hatte ihr davon erzählt, wie Crombie allen Ernstes versucht hatte, den Cherokee die Doktrin der Prädestination zu erklären. Die meisten von ihnen hatten ihm höflich zugehört und ihn dann ignoriert. Doch Birds Frau Penstemon war neugierig geworden. Sie war Crombie einen Tag lang überallhin gefolgt und hatte ihn spielerisch geschubst, um dann zu rufen: »Hat Euer Gott gewusst, dass ich das tun würde? Wie konnte er es wissen – ich wusste doch nicht einmal selbst, dass ich es tun würde!« Oder sie hatte ihn nachdenklicher gefragt, wie sich die Vorstellung der Prädestination wohl beim Glücksspiel auswirkte – wie die meisten Indianer hätte Penstemon auf beinahe alles gewettet.
Sie hatte den Verdacht, dass Penstemon wahrscheinlich eine Menge damit zu tun gehabt hatte, dass Crombies erster Besuch bei den Indianern so kurz ausfiel. Eins musste sie ihm jedoch lassen; er war zurückgekehrt. Und noch einmal zurückgekehrt. Er glaubte an das, was er da tat.
Genau wie Roger. Verdammt, dachte sie erschöpft, da war er ja doch wieder mit seinen nachdenklichen, moosgrünen Augen und fuhr sich langsam mit dem Finger über den Nasenrücken.
»Ist das wirklich wichtig?«, hatte sie schließlich gesagt, als sie der Diskussion über die Prädestination müde wurde, und war insgeheim froh gewesen, dass von einem Katholiken nicht verlangt wurde, an so etwas zu glauben, und er den Herrn einfach schalten und walten lassen konnte. »Ist es nicht wichtiger, dass du Menschen helfen kannst, ihnen Trost bieten kannst?«
Sie hatten im Bett gelegen. Die Kerze war schon ausgelöscht, und sie hatten sich im schwachen Schein der Glut im Kamin unterhalten. Sie konnte spüren, wie er sich bewegte, und
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