Ein Hauch von Schnee und Asche
kauen. Vielleicht war es die bessere Ernährung, die sie weiterleben ließ – vielleicht war es aber auch einfach nur Sturheit. Abernathy war der Name, den sie bei ihrer Hochzeit angenommen hatte, doch sie hatte mir anvertraut, dass sie eine geborene Fraser war.
Ich lächelte bei dem Gedanken daran, während ich ihr einen Verband um das Schienbein wickelte, das an ein Stöckchen erinnerte. Sie hatte fast kein Fleisch mehr an den Beinen und Füßen, die sich so hart und kalt anfühlten wie Holz. Sie hatte sich das Schienbein am Tisch gestoßen und sich einen fingerbreiten Hautstreifen abgerissen; eine so geringfügige Verletzung, dass sich ein jüngerer Mensch nichts dabei gedacht hätte – doch ihre Familie sorgte sich um sie und hatte nach mir geschickt.
»Es wird langsam heilen, aber wenn Ihr es sauber haltet – lasst sie um Gottes willen kein Schweinefett darauf schmieren -, wird es, glaube ich, wieder gut werden.«
Die »jüngere« Mrs. Abernathy – die selbst um die siebzig war – fixierte mich bei diesen Worten scharf. Genau wie ihre Schwiegermutter hegte sie großes Vertrauen in Schweinefett und Terpentin als Allheilmittel, doch sie nickte widerstrebend. Ihre Tochter, deren hochtrabender Name Arabella sehr viel gemütlicher zu Oma Belly abgekürzt worden war, grinste mich hinter ihrem Rücken an. Sie hatte weniger Glück mit ihren Zähnen gehabt – ihr Lächeln wies beachtliche Lücken auf -, doch sie war eine fröhliche, gutmütige Person.
»Willie B.«, instruierte sie einen ihrer Enkel, der etwa fünfzehn war, »geh doch bitte in den Kartoffelkeller, und hol einen kleinen Sack Rübchen für Mrs. Fraser.«
Wie üblich protestierte ich, doch alle Beteiligten waren sich sehr wohl bewusst, wie in solchen Fällen zu verfahren war. Und ein paar Minuten später befand ich mich um fünf Pfund Rübchen reicher auf dem Heimweg.
Wir konnten sie gut brauchen. Ich hatte mich zwar im Frühjahr nach Malvas Tod gezwungen, wieder in den Garten zu gehen – es ging nicht anders; Sentimentalität war ja gut und schön, aber wir mussten schließlich essen. Die darauf folgenden Turbulenzen und meine fortwährende Abwesenheit hatten allerdings zu einer schmerzlichen Vernachlässigung der Ernte geführt. Mrs. Bugs sämtlichen Bemühungen zum Trotz waren alle Rüben der Schwarzfäule oder irgendwelchen Parasiten zum Opfer gefallen.
Unsere Vorräte waren überhaupt arg geschmälert. Da Jamie und Ian so häufig unterwegs waren und keine Zeit für die Jagd oder die Ernte hatten und auch Brianna und Roger nicht mehr da waren, hatten wir nur halb so viel Getreide geerntet wie sonst, und im Räucherschuppen hing nur eine einzige traurige Hirschkeule. Wir benötigten fast das gesamte Getreide für uns selbst; wir konnten nichts eintauschen oder verkaufen, und an der Mälzerei standen lediglich ein paar einsame Säcke Gerste unter einem Stück Segeltuch. Wahrscheinlich würden sie faulen, dachte ich grimmig, weil niemand Zeit hatte, frisches Malz anzusetzen, bevor das kalte Wetter kam.
Nach dem katastrophalen Überfall eines Fuchses, der in den Hühnerstall eingebrochen war, erholte sich Mrs. Bugs Hühnerschar allmählich wieder –
doch es ging sehr langsam, und wir bekamen nur hin und wieder ein widerstrebend entbehrtes Ei zum Frühstück.
Andererseits, so besann ich mich schon zuversichtlicher, hatten wir Schinken. Jede Menge Schinken. Und Unmengen Speck, Sülze, Schweineschnitzel, Steaks … ganz zu schweigen von Talg und Schmalz.
Dieser Gedanke brachte mich wieder auf das Schweinefett und die wimmelnde, beengte Gemütlichkeit der umeinander gescharten Hütten der Abernathys – und im Kontrast dazu die schreckliche Leere in unserem Haus.
Wie konnte an einem so bevölkerten Ort der Verlust von nur vier Menschen so viel bedeuten? Ich musste anhalten und mich an einen Baum lehnen, um den Schmerz über mich hinwegspülen zu lassen. Ich versuchte nicht, ihn zu unterdrücken. Ein Geist lässt sich nicht fern halten , das hatte ich von Jamie gelernt. Lass ihn herein.
Ich ließ die Geister ein – ich konnte ja gar nicht anders. Und ich tröstete mich, so gut ich konnte, mit dem Wissen – nein, so sagte ich mir entschlossen, ich hoffte es nicht, ich wusste es -, dass sie gar keine Geister waren. Nicht tot, sondern nur… anderswo.
Nach ein paar Minuten begann die überwältigende Trauer nachzulassen, langsam wie die abebbende Flut. Manchmal legte sie Schätze frei; kleine, vergessene Bilder von Jemmys honigverschmiertem
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