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Ein Hauch von Schnee und Asche

Ein Hauch von Schnee und Asche

Titel: Ein Hauch von Schnee und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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ihr Kind hatten keinen Grabhügel bekommen – ihr Vater war gegen eine solche heidnische Sitte gewesen -, doch es kam trotzdem dann und wann jemand und legte als Zeichen der Erinnerung einen Kiesel darauf. Das zu sehen, tröstete mich ein wenig; ich war nicht die Einzige, die sich an sie erinnerte.
    An der Wegmündung blieb ich abrupt stehen; es kniete jemand an ihrem
Grab – ein junger Mann. Ich hörte das leise, plaudernde Murmeln seiner Stimme und wäre beinahe wieder gegangen, doch er hob den Kopf, und der Wind fing sich in seinem Haar, dessen kurze Büschel an das Gefieder einer Eule erinnerten. Allan Christie.
    Er sah mich ebenfalls und versteinerte. Doch mir blieb nichts anderes übrig, als zu ihm zu gehen und ihn anzusprechen, also tat ich das.
    »Mr. Christie«, sagte ich, und die Worte fühlten sich seltsam an. So hatte ich seinen Vater immer genannt. »Ich bedaure Euren Verlust.«
    Er starrte ausdruckslos zu mir auf, dann schien sich etwas in seinen Augen zu regen. Graue, mit schwarzen Wimpern umrandete Augen, die denen seines Vaters und seiner Schwester so sehr ähnelten. Blutunterlaufen vom Weinen und aus Schlafmangel, zumindest ihren erschreckenden Rändern nach.
    »Aye«, sagte er. »Mein Verlust. Aye.«
    Ich ging um ihn herum, um mein immergrünes Sträußchen niederzulegen, und mit Erschrecken sah ich, dass er eine geladene und gespannte Pistole neben sich auf dem Boden liegen hatte.
    »Wo seid Ihr gewesen«, sagte ich so beiläufig, wie es die Umstände erlaubten. »Wir haben Euch vermisst.«
    Er zuckte mit den Achseln, als spielte es eigentlich keine Rolle, wo er gewesen war – vielleicht stimmte das ja auch. Sein Blick war nicht länger auf mich gerichtet, sondern auf den Stein, den wir am Kopfende ihres Grabes aufgestellt hatten.
    »Hier und dort«, sagte er vage. »Aber ich musste zurückkommen.« Er wandte sich halb von mir ab – es war klar, dass ihm lieber gewesen wäre, wenn ich ging. Stattdessen raffte ich meine Röcke und kniete mich vorsichtig neben ihn. Ich glaubte nicht, dass er sich vor meinen Augen das Gehirn wegpusten würde. Ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte, außer ihn zum Reden zu bewegen und zu hoffen, dass noch jemand des Weges kam.
    »Wir freuen uns, dass Ihr wieder daheim seid«, sagte ich, um einen unbeschwerten Ton bemüht.
    »Aye«, sagte er vage. Erneut wanderte sein Blick zu dem Grabstein und er wiederholte: »Ich musste zurückkommen.« Seine Hand wanderte auf die Pistole zu, und zu seiner Verblüffung ergriff ich sie.
    »Ich habe Eure Schwester sehr geliebt«, sagte ich. »Es – es ist ein furchtbarer Schock für Euch gewesen, das weiß ich wohl.« Was, was sagte man nur? Es gab Dinge, die man zu einem potenziellen Selbstmörder sagen konnte, das wusste ich. Doch was?
    »Euer Leben ist kostbar« , hatte ich zu Tom Christie gesagt, der nur erwidert hatte: »Wenn es nicht so wäre, würde dies hier ja wertlos sein.« Doch wie sollte ich seinen Sohn davon überzeugen?
    »Euer Vater hat Euch beide geliebt«, sagte ich und fragte mich dabei, ob er wohl wusste, was sein Vater getan hatte. Er hatte sehr kalte Finger, die
ich jetzt mit beiden Händen umfing, um ihm ein wenig Wärme zu spenden. Ich hoffte, dass die menschliche Berührung ihm helfen würde.
    »Aber nicht so, wie ich sie geliebt habe«, sagte er leise, ohne mich anzusehen. »Ich habe sie ihr Leben lang geliebt, von dem Moment an, als sie geboren wurde und sie sie mir in den Arm gelegt haben. Es gab niemand anderen, für keinen von uns. Vater war fort, im Gefängnis, und dann ist meine Mutter – ah, Mutter.« Seine Lippen verzogen sich, als wollte er lachen, doch es kam kein Ton.
    »Ich weiß Bescheid über Eure Mutter«, sagte ich. »Euer Vater hat es mir erzählt.«
    »Ach ja?« Sein Kopf fuhr zu mir herum, und er fixierte mich mit klarem, hartem Blick. »Hat er Euch auch erzählt, dass sie Malva und mich zu ihrer Hinrichtung mitgenommen haben?«
    »Ich – nein. Ich glaube nicht, dass er das wusste, oder?« Mein Magen verknotete sich.
    »Er wusste es. Ich habe es ihm erzählt, später, als er uns hat kommen lassen. Er hat gesagt, das sei gut so, weil wir mit unseren eigenen Augen gesehen hätten, wohin der Frevel führt. Er hat mir aufgetragen, diese Lektion zu behalten – und das habe ich getan«, fügte er leiser hinzu.
    »Wie alt wart Ihr denn da?«, fragte ich entsetzt.
    »Zehn. Malva war erst zwei – sie hatte keine Ahnung, was da vorging. Sie hat nach ihrer Mama gerufen, als sie Mutter vor

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