Ein Hauch von Schnee und Asche
laut vor Hiram Crombie sagen – nicht einmal vor dem alten Christie.« Er deutete mit dem Kinn in Richtung der Wiese, von wo Roger zwei dunkle Gestalten Seite an Seite auf das Haus zugehen sehen konnte. Arch Bugs hoch gewachsener, gebückter Körperbau war leicht zu erkennen, genau wie Tom Christies kürzere, kompaktere Figur. Noch als Umriss sah er streitlustig aus, dachte Roger, denn er machte beim Gehen kurze, scharfe Gesten und befand sich eindeutig in einer heftigen Diskussion mit Arch.
»Es gab manchmal erbitterte Streitereien darum, in Ardsmuir«, sagte Duncan und beobachtete die beiden sich nähernden Gestalten. »Die Katholiken hörten es nicht gern, wenn man ihnen sagte, sie wären verdammt. Und Christie und sein Trüppchen haben es ihnen mit Wonne immer wieder gesagt.« Seine Schultern bebten ein wenig vor unterdrücktem Gelächter, und Roger fragte sich, wie viel Whisky Duncan wohl schon getrunken hatte, bevor er auf die Terrasse gekommen war. Er hatte den älteren Mann noch nie so gesprächig erlebt.
»Mac Dubh hat dem schließlich ein Ende gesetzt, als er uns alle zu Freimaurern gemacht hat«, fügte er hinzu und beugte sich vor, um sich ein neues Glas einzuschenken. »Aber vorher hätte es beinahe Tote gegeben.« Er hob den Dekanter fragend in Rogers Richtung.
Da er einem Abendessen in Gesellschaft von Tom Christie und Hiram Crombie entgegensah, nahm Roger an.
Als sich Duncan vorbeugte, um ihm – immer noch lächelnd – einzuschenken, fielen die letzten Sonnenstrahlen auf sein wettergegerbtes Gesicht. Rogers Blick erfasste eine schwache weiße Linie, die Duncans Oberlippe durchschnitt, kaum sichtbar unter den Haaren, und er begriff ganz plötzlich, warum Duncan einen langen Schnurrbart trug – ein ungewöhnlicher Gesichtsschmuck in einer Zeit, in der die meisten Männer glatt rasiert waren.
Wahrscheinlich hätte er nichts gesagt, wäre der Whisky nicht gewesen und jener merkwürdige Bund zwischen ihnen – zwei Protestanten, zu ihrem Erstaunen an Katholiken gebunden und verwundert über die seltsamen Tiden des Schicksals, die über sie hinweggespült waren; zwei Männer, die durch unglückliche Ereignisse alles und jeden verloren hatten und sich jetzt ganz überrascht als Haushaltsvorstände wiederfanden und das Leben Fremder in der Hand hatten.
»Eure Lippe, Duncan.« Er fasste sich selbst kurz an den Mund. »Wie ist das passiert?«
»Och, das?« Überrascht fasste sich Duncan ebenfalls an die Lippe. »Nein, ich bin mit einer Hasenscharte geboren worden, sagt man zumindest. Ich kann mich selbst nicht daran erinnern; ich wurde geheilt, als ich nicht älter als eine Woche war.«
Jetzt war es Roger, überrascht zu sein.
»Wer hat Euch geheilt?«
Duncan zuckte mit den Achseln, diesmal mit einer Schulter.
»Ein fahrender Heiler, hat meine Mutter gesagt. Sie hatte sich schon damit abgefunden, mich zu verlieren, weil ich natürlich nicht trinken konnte. Sie und meine Tanten haben sich dabei abgewechselt, mir mit einem Tuch Milch in den Mund zu träufeln, aber sie sagt, ich war schon fast zu einem winzigen Skelett abgemagert, als dieser Zauberheiler ins Dorf kam.«
Er rieb sich verlegen mit dem Handrücken über die Lippe und glättete das dichte, grau melierte Haar seines Schnurrbarts.
»Mein Vater hat ihm sechs Heringe und eine Portion Schnupftabak gegeben, und er hat die Lippe genäht und meiner Mutter eine Salbe für die Wunde gegeben. Nun, und so …« Er zuckte erneut mit den Achseln und lächelte schief.
»Vielleicht war es mir ja doch vorherbestimmt zu leben. Mein Großvater hat gesagt, der Herr hätte mich auserwählt – obwohl Gott allein weiß, wozu.«
Roger war sich eines leisen Gefühls der Beklommenheit bewusst, auch wenn der Whisky es dämpfte.
Ein Highland-Heiler, der eine Hasenscharte in Ordnung bringen konnte? Er trank noch einen Schluck und versuchte, Duncan nicht anzustarren, während er verstohlen sein Gesicht betrachtete. Es musste wohl möglich
sein; die Narbe unter Duncans Schnurrbart war gerade eben zu sehen – wenn man wusste, wohin man schauen musste -, doch sie zog sich nicht bis in seine Nase hinein. Also musste es eine relativ harmlose Hasenscharte gewesen sein, kein wirklich schlimmer Fall wie der, von dem er in Claires Notizbuch gelesen hatte – vor Schreck unfähig, sich von der Buchseite abzuwenden -, wo Dr. Rawlings ein Kind beschrieben hatte, das nicht nur mit einer zweigeteilten Lippe zur Welt gekommen war, sondern dem zusätzlich das Gaumensegel
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