Ein Hauch von Seide - Roman
Jahre viele schöne Frauen gehabt, doch Emerald verkörperte alles, was er am meisten liebte: Schönheit, Esprit und vor allem eine gewisse Arroganz, die sie ihm gegenüber besonders verletzlich machen würde. Im Geiste rechnete Tod schon, um wie viel er sie wohl erleichtern konnte, damit er Stillschweigen über ihre kleinen törichten Augenblicke bewahrte – Zehntausende sicher, vielleicht sogar hunderttausend, schließlich war sie mit einem Prinzen verheiratet.
Er winkte einen Kellner herbei, und wie von Zauberhand stand wenige Sekunden später ein frischer Cocktail vor Emerald.
Emerald schwebte inzwischen auf Wolken, doch wenn man in so kultivierter Gesellschaft war, konnte man sich nicht benehmen wie eine unschuldige kleine Gans. Hatte Alessandros Mutter ihm schon gesagt, dass ihre Ehe zu Ende war? Am liebsten hätte Emerald sich in Luft aufgelöst. Es verletzte ihren Stolz – und auch noch etwas anderes –, dass ihre Macht über Alessandro nicht stark genug gewesen war, dass er sich seiner Mutter widersetzt hätte, dass jemand anders ihm mehr bedeutete als sie. So wie auch ihrer Mutter jemand anders mehr bedeutet hatte als sie. Emerald zuckte vom Rand des Abgrunds zurück, der sich in ihrem Innern auftat, denn sie wollte nicht hinunterschauen, aus Angst, sie könnte sehen, was dort auf sie lauerte, um sie zu zerstören.
Alessandro war ein rückgratloser Idiot, redete sie sich zu. Es gab genug Männer, die sie sich willens machen konnte, andere Männer – wie Tod Newton –, mit denen sie prahlen konnte, und als einst verheiratete Frau war sie nicht mehr an die ehernen Regeln gebunden, die von unverheirateten Mädchen unbedingt Jungfräulichkeit verlangten. Sie konnte und würde die Verführerin sein, die Frau von Welt, der keiner zu widerstehen vermochte.
Diese und andere alkoholisierte Gedanken wirbelten durch Emeralds Kopf. Obwohl sie es nicht zugeben wollte, vermisste sie die Aufmerksamkeit, mit der Alessandro sie bedacht hatte, und die Befriedigung, zu wissen, dass sie ihn nur auf eine bestimmte Art anlächeln musste, damit er alles tat, was sie verlangte. Emerald hatte das Gefühl der Macht genossen, das dies ihr verliehen hatte. Sie hatte sich an dem Wissen ergötzt, dass sie, im Gegenzug dafür, dass sie Alessandro ihren Körper überließ, vollkommene Kontrolle über ihn hatte. Und das wäre auch immer noch so, wenn seine Mutter nicht wäre. Diese Macht wollte sie wieder spüren. Sie würde anderen Frauen beweisen – äußerlich frommen, guten Frauen wie ihrer Mutter und offen kontrollsüchtigen Frauen wie Alessandros Mutter –, dass ihre sexuelle Macht stärker war als alles, worauf sie zurückgreifen konnten. Sie würde die Frau sein, der kein Mann widerstehen konnte und die deswegen von allen Frauen gefürchtet wurde.
»Siehst du, die Sache ist die, alter Bursche«, sagte Henry vertraulich zu Dougie, indem er sich über den Tisch beugte, »ich hatte gehofft, du könntest mir aus der Patsche helfen. Schließlich sind wir fast eine Familie, wo meine Schwester und meine Lieblingstochter unter deinem Dach leben. Ich kann dir sagen, die ganze Familie ist sehr froh, dass du der Erbe bist. An der Ehe des armen alten Robert mit Amber Pickford war immer irgendwas faul – das hab ich damals schon gesagt, und da war ich nicht der Einzige. Hübsches kleines Ding, natürlich, aber nicht gerade aus vornehmer Familie. Es taugt nichts, blaues Blut zu vermischen. Ich bin schon froh, dass ihr Junge gestorben ist und nicht erben kann, und was das Mädchen angeht … Sieh sie dir doch nur an da drüben. Newton hat sie im Bett, bevor sie weiß, wie ihr geschieht, und dann muss ihr Gemahl ihm ein Vermögen berappen, damit ihr Name nicht in die Klatschspalten kommt. Entweder das, oder er lässt sich von ihr scheiden … Also, Dougie, alter Bursche, wie gesagt, die Sache ist die, dass ich finanziell ein bisschen klamm bin und ein kleines Darlehen gebrauchen könnte, ein paar Tausend, sagen wir fünf.«
Dougie war in dem Augenblick erstarrt, da Gwendolyns Vater verbal gegen Amber ausgeholt hatte, denn er mochte und bewunderte Amber, und jetzt verschloss er sein Herz vollständig vor seinem Gegenüber. Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, schüttelte den Kopf und sagte entschlossen: »Es tut mir leid, aber solche Summen stehen mir nicht zur Verfügung.«
Das war eine Lüge, doch Dougie wollte verdammt sein, wenn er für Henrys Schulden aufkommen würde. Seine Familie tat ihm leid, sehr leid sogar,
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