Ein Hauch von Seide - Roman
wie eine Flutwelle: was sie gesagt hatte, was sie ihm erzählt hatte, was sie ihn gefragt hatte.
O Gott, nein! Nein! Nicht das, und auch noch zu Dougie, dem Viehtreiber, den sie verachtete. Zornig knirschte Emerald mit den Zähnen, doch ein scharfer Schmerz schoss durch ihren Schädel, und sie ließ es gleich wieder.
Sie musste zu ihm, sie musste unbedingt dafür sorgen, dass er niemals, nie im Leben, auch nur ein Wort über den vergangenen Abend verlor …
28
»Ist der Herzog da, Chivers?«
Emerald hatte tapfer den Versuch unternommen, sich zurechtzumachen, doch obwohl sie ihre Zofe gebeten hatte, ihr bei der Haushälterin ein Aspirin zu holen, hatte sie immer noch Kopfschmerzen, die sich wie ein enges Band um die Stirn festgesetzt hatten.
»Er hat mich gebeten, Ihnen, falls Sie nach ihm fragen, zu sagen, dass er in der Bibliothek ist, Lady Emerald.«
Erst als sie sich von ihm abgewandt hatte, ging Emerald auf, dass Chivers wieder ihren vorehelichen Titel benutzt hatte. Ihr Herz klopfte im Rhythmus ihrer Kopfschmerzen. Dougie musste ihm etwas gesagt haben. Es war doch sicher unmöglich, dass die Dienstboten es anderweitig erfahren hatten. Gott, der Viehtreiber hatte sicher einen Heidenspaß an dem Ganzen. Wie hatte sie nur so dumm sein können, ihm alles zu erzählen?
Sie öffnete die Doppeltür zur Bibliothek. Die Zeiten änderten sich, und selbst in den vornehmsten Häusern waren Diener, die herbeieilten, um hochrangigen Mitgliedern der Familie und Besuchern die Türen zu öffnen, Mangelware. Es sei denn, natürlich, man gehörte der königlichen Familie an. Alessandro hatte ihr einmal anvertraut, wie sehr ihm der entspannte Lebensstil in London gefiel im Vergleich zu der strengen Etikette, auf der seine Mutter an ihrem eigenen Hof bestand.
Alessandro … Ungewollte, zornige Tränen brannten in ihren Augen. Sie blinzelte sie weg und betrat den Raum.
Dougie wartete auf sie, das sah sie sofort. Er mochte so tun, als würde er Zeitung lesen, doch Emerald ließ sich nicht täuschen. Sie spürte seine Anspannung förmlich. Das reichte, um ihr etwas von ihrem Feuer zurückzugeben.
Ohne auf ihre Kopfschmerzen zu achten, erklärte sie ihm kalt: »Tod Newton wird heute zweifellos Erkundigungen anstellen, wie und warum ich gestern Abend praktisch entführt wurde, und wenn er anruft …«
»Nun, er hat heute Morgen angerufen, und er wurde daran erinnert, dass Sie eine verheiratete Frau sind und ein Mitglied der Familie, deren Oberhaupt ich bin. Und deren Namen ich nicht in den Dreck ziehen lasse.«
Wenn ihr der Kopf nicht so gebrummt hätte, hätte sie laut über die Vorstellung gelacht, dass der Viehtreiber sich als Familienoberhaupt bezeichnete. Oberhaupt einer Familie, der sie eigentlich gar nicht angehörte. Ihr wahrer Familienname war nicht von stolzer Langlebigkeit, verziert mit Erdbeerblättern und einem herzoglichen Wappen.
»Sie hatten nicht das Recht …«
»Um Himmels willen, Emerald, hören wir auf damit. Angesichts Ihrer Erzählungen von gestern Abend würde ich doch annehmen, Sie hätten Wichtigeres zu tun, als um die Aufmerksamkeit eines berüchtigten Schürzenjägers zu buhlen.«
»Tod ist kein Schürzenjäger.«
»Sie haben recht, er ist noch etwas viel Schlimmeres. Da das jetzt erledigt ist, lassen Sie uns darüber reden, was wirklich wichtig ist, einverstanden?« Ohne auf eine Antwort von Emerald zu warten, fuhr Dougie fort: »Ich habe heute Morgen mit Mr Melrose und mit Ihrer Mutter über Ihre Ehe gesprochen. Mr Melrose wird einen befreundeten Anwalt zu Rate ziehen, der, wie er mir versicherte, weiß, wie dafür zu sorgen ist, dass Alessandros Mutter sich bezüglich Ihres leiblichen Vaters an ihr Wort hält.
Man ist übereingekommen, dass die Annullierung Ihrer Ehe aus religiösen Gründen geschieht. Alessandro ist Katholik. Sie nicht. Sie hatten ursprünglich das Gefühl, Sie könnten konvertieren, doch bei genauerer Betrachtung haben Sie gemerkt, dass Sie das nicht können, und aus diesem Grund sind Sie und Alessandro – unter großem Bedauern – zu dem Schluss gekommen, dass Ihre Ehe keinen Bestand haben kann.«
Ein Gefühl – konnte es tatsächlich das widerwillige Eingeständnis ungewollter Erleichterung darüber sein, dass jemand sich auf diese autoritäre Art um die Sache kümmerte? – erlöste sie kurz von ihren pochenden Kopfschmerzen.
»Alessandros Mutter wurde klargemacht, dass sie, sollte sie – oder jemand anders – je versuchen, eine andere Version der
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