Ein Hauch von Seide - Roman
er auf die zerfetzten Leinwände starrte. »Woher hat sie gewusst, dass sie hier sind?«
»Ich habe es ihr gesagt. Es ist meine Schuld. Ich dachte … ich dachte, sie fände es tröstlich, zu sehen, wie gut er war … Oh, Jay …«
»Es sind nur die obersten beiden«, versuchte er sie zu trösten, als er den Inhalt der Kiste überprüfte. »Die anderen hat sie, wie es aussieht, nicht angerührt.«
Als Jay jetzt die zerkratzte Haut der jungen Frau auf dem Gemälde betrachtete und dann das Gesicht seiner Frau, die dem Mädchen von damals immer noch bemerkenswert ähnlich sah, stieg ein Zorn auf Emerald in ihm auf, wie er ihn selten in seinem Leben empfunden hatte.
»Armer Jean-Philippe. Ich habe ihn schrecklich enttäuscht. Das ist alles, was von ihm übrig ist. Was sollen wir wegen Emerald machen, Jay?«
Voller Verständnis für all das, was sie nicht über die Lippen brachte, nahm Jay Amber in die Arme und hielt sie, während sie weinte.
27
»Dann sind wir uns einig?«, wollte Alessandros Mutter von Emerald wissen. Sie saßen in dem Salon ihrer Suite im Savoy . »Deine Heirat mit meinem Sohn ist mit sofortiger Wirkung beendet und wird annulliert werden. Der arme Alessandro, ich fürchte, ich musste ihn schonend auf deinen Treuebruch vorbereiten.«
Sie trug wie immer Schwarz, was nur recht war für die abscheuliche alte Krähe, fand Emerald bitter.
»Alessandro war natürlich schockiert, als er erfuhr, dass du mir gestanden hast, deine Ehe mit ihm sei ein Fehler gewesen, und du hättest ihn nur als Reaktion auf eine andere gescheiterte Liebe geheiratet«, fuhr sie fort.
Zorn funkelte in Emeralds Augen. »Das würde Alessandro niemals glauben. Er weiß genau, dass es vor ihm keinen anderen Mann gab.«
»Ja? Ich werde ihn warnen müssen, dass junge Frauen sehr schlau sein können, wenn es darum geht, etwas vorzugaukeln, was sie nicht sind, nicht wahr?« Ihre Schwiegermutter hatte ein boshaftes Lächeln aufgesetzt. »Ich halte es für das Beste, wenn wir uns nach dem heutigen Tag niemals wiedersehen, Emerald.«
Hierher zurückkehren, in diese triste Suite mit ihrem schweren viktorianischen Mobiliar, ihrer stickigen Atmosphäre und Alessandros Mutter, die darin lauerte wie eine Spinne im Zentrum eines Netzes, bereit, sich jederzeit auf ihre Beute zu stürzen? Emerald sah sich in dem bedrückenden Raum um, dessen schwere, dunkle Vorhänge das Licht aussperrten und sie gefangen hielten, wo sie nicht sein wollte, genau wie die viktorianischen Wertvorstellungen der Prinzessin sie aus Alessandros Leben ausschlossen und die Prinzessin in ihrer rigiden Respektabilität gefangen hielten.
»Oh, ein warnendes Wort noch. Sollte deine Beziehung mit meinem Sohn nicht folgenlos geblieben sein, dann muss ich dich darauf hinweisen, dass ein solches Kind natürlich als illegitim gelten wird – genau wie du, Emerald. Vielleicht solltest du dem Beispiel deiner Mutter folgen und dir einen Mann suchen, der bereit ist, dich unter den Schutz seines Namens zu stellen?«
Emerald sagte nichts. Zorn brannte in ihr, wütend und zerstörerisch, doch sie durfte ihn nicht herauslassen. Nicht, ohne weitere Demütigungen zu riskieren. Formlos und schmachvoll war sie ihres Familienstands und des damit einhergehenden Titels beraubt worden, und ihre Demütigung würde öffentlich werden. Ein brennender Hass auf Alessandros Mutter verzehrte sie, und sie erneuerte ihren Schwur, den Spieß irgendwann umzudrehen und sie dafür büßen zu lassen.
»So schlimm ist es nicht, Emerald«, verspottete die Prinzessin sie. »Wie ich dir schon erklärt habe, werden wir öffentlich bekanntgeben, dass die Ehe ein Fehler war, eingegangen von zwei jungen Menschen, denen nicht klar war, welche Bedeutung Alessandros Position und die Gesetze unseres Landes sowie unserer Religion haben. Denk nur, wie viel schlimmer es für dich wäre, wenn ich damit an die Öffentlichkeit gehen müsste, unter welchen Umständen du gezeugt wurdest und wer dein leiblicher Vater war. Natürlich hast du mein Wort, dass nichts von alldem bekannt werden wird, solange du dich an unsere Vereinbarung hältst. So, ich glaube, es ist alles gesagt, was gesagt werden muss, nicht wahr?«
Das Lächeln ihrer Schwiegermutter war ruhig und triumphierend, als sie von dem hochlehnigen Sessel aufstand, den sie sich absichtlich als Sitzmöbel gewählt hatte, während Emerald gezwungen war, einen viel niedrigeren Sessel zu nehmen, wollte sie in ihrer Gegenwart nicht stehen bleiben wie eine
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