Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Haus für vier Schwestern

Ein Haus für vier Schwestern

Titel: Ein Haus für vier Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgia Bockoven
Vom Netzwerk:
Seniorpartnern und fünfundzwanzig Teilhabern geworden, die Fälle ablehnen musste. Finanziell würde die Firma den Verlust eines Klienten wie Jessie verkraften. Der private Einschnitt für Lucy wäre viel größer. Am meisten würden ihr die ständigen Aufregungen fehlen. Jedes Mal, wenn sie mit ihm telefonierte, hatte er sie mit einem Feuerwerk aus neuen Geschäftsideen bombardiert, die meist mehr Probleme mit sich brachten, als ursprünglich angenommen.
    Sie blieb vor dem Besprechungszimmer stehen, nahm ihre Brille ab und presste die Fingerspitzen auf den Punkt genau zwischen den Augenbrauen. Sie brauchte dringend eine neue Brille, aber darüber ausgerechnet jetzt nachzudenken, war nichts als eine Verzögerungstaktik. Eigentlich wollte sie Jessie nicht gegenübertreten, wollte seine Ausreden nicht hören, warum das Treffen besser verlaufen wäre, als es in Wirklichkeit verlaufen war. Vor allem wollte sie nicht sehen, wie die Enttäuschung ihm den Lebensmut nahm.
    Obwohl sie sich wünschte, sie wäre anderswo, öffnete sie die Tür und ging hinein. Jessie wandte ihr den Rücken zu und sah zum Fenster hinaus.
    »Wie ist es gelaufen?«
    »Ich hasse es, zuzugeben, dass du offensichtlich recht hattest, Lucy.«
    Sie setzte sich neben ihn. »Du wusstest, dass das erste Mal schwierig werden würde. Wir geben ihnen ein paar …« Sie sog die Luft ein, als sie ihn ansah. Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Seine Augen waren matt vor Schmerz. »Was ist mit dir?« Als er nicht antwortete, kniete sie sich vor ihn hin, um ihm ins Gesicht zu sehen. »Was ist los?«
    »Es geht schon. Gib mir bitte eine Minute. Das Medikament muss erst wirken.« Er japste und biss sich auf die Lippe, als ihn die nächste Schmerzattacke fast niederstreckte.
    »Ich rufe einen Krankenwagen.«
    »Nein – nicht! Die bringen mich ins Krankenhaus und …« Er japste wieder und verschränkte die Arme vor der Brust. Diesmal blieb er aber aufrecht. »Verdammt, verdammt, verdammt«, stöhnte er. »Warum heute? Warum gerade jetzt?«
    Lucy rannte zum Telefon und wählte den Notruf. Sie rang um Fassung, als sie dem Mann in der Zentrale seine unzähligen Fragen beantwortete. Plötzlich fiel ihr ein, dass sie die Türen für die Sanitäter öffnen musste. Sie legte auf und rannte in den Eingangsbereich, wo sich Margaret gerade zum Gehen anschickte. Rasch rief sie ihr ein paar Instruktionen zu und rannte zurück zu Jessie.
    »Sie sind unterwegs.«
    »Ich will auf keinen Fall ins Krankenhaus.«
    »Du brauchst Hilfe.«
    »Ruf meinen Arzt an. Er weiß, was zu tun ist.«
    »Es ist Samstag. Du wirst mit seiner Vertretung vorlieb nehmen müssen, und die schickt dich sowieso ins Krankenhaus.«
    »Und die werden mich behalten. Sie werden mir die Hölle heiß machen, bevor sie mich wieder entlassen. Ich will das nicht noch einmal durchmachen, Lucy.«
    »Gib mir die Telefonnummer, ich rufe gleich an.« Sie wartete darauf, dass er in der Lage war, in die Innentasche zu fassen.
    In all den Jahren ihrer Bekanntschaft war der Körperkontakt in stummer Übereinstimmung auf ein Händeschütteln zur Begrüßung beschränkt gewesen. Keine Umarmungen, kein Schulterklopfen, nicht mal ein leichtes Wegwischen von Fusseln auf dem Kragen. Alles andere hätte die Tür zu einem Ort aufgestoßen, den sie nicht betreten konnten und wollten.
    Doch jetzt wusste Lucy mit herzzerreißender Sicherheit, dass das keine Rolle mehr spielen würde. Sie griff in Jessies Jacke und zog seine Brieftasche heraus.

11
    Jessie
    »Geht es Ihnen besser?« Der Doktor stand vor dem Bett und studierte die Laborauswertungen auf seinem Klemmbrett. Mit seinem Fusselbart, T-Shirt und Jeans wirkte er eher wie ein Student und nicht wie der Teilhaber einer erfolgreichen onkologischen Praxis.
    »Gut genug, um zu verschwinden.« Jessie hasste Krankenhäuser nicht nur, er fürchtete sie regelrecht. Blasse Farben, glänzende Fußböden und Betten mit quietschenden Federn kamen seiner Vorstellung von der Hölle ziemlich nahe. Als Strafe und zur persönlichen Erniedrigung musste man jedes Mal klingeln, wenn man etwas brauchte. Meldete sich dann eine unpersönliche Stimme, blieb einem nichts anderes übrig, als zum Lautsprecher hinaufzuschreien, dass man aufs Klo müsste.
    »Sie sollten über Nacht bleiben.«
    »Nein, Doc. Auf gar keinen Fall.«
    »Ich musste Ihre Medikation erheblich erhöhen. Wir müssen beobachten, wie Sie das vertragen.«
    »Ich werde bald sterben, Doc.« Jessie setzte sich auf und schwang seine

Weitere Kostenlose Bücher