Ein Haus für vier Schwestern
ich wollte, dass ihr euch kennenlernt. Es tut mir leid, dass Elizabeth nicht da ist. Aber vielleicht beim nächsten Mal.«
Ginger reagierte als Erste. »Das kann nicht dein Ernst sein. Warum sollte auch nur eine von uns diesen Zirkus noch einmal mitmachen?«
»Aus Neugier?«, schlug Jessie hoffnungsvoll vor.
Rachel packte ihre Handtasche. »Ohne mich. Ich habe schon mehr als genug Familienprobleme. Und was das Treffen mit dir angeht – ich bin sechsunddreißig Jahre ohne dieses Privileg zurechtgekommen. Nichts, was du heute gesagt oder getan hat, erweckt bei mir den Eindruck, ich hätte etwas versäumt.«
Nun war die Reihe an Christina. »Damit liegst du falsch«, sagte sie leise. »Du hast eine Menge versäumt. Wir alle haben das.« Sie sah Jessie an. Ihre Stimme zitterte leicht, und sie trug ihr Herz auf der Zunge. »Ich wollte, ich könnte verstehen, warum du das gemacht hast. Vielleicht würde das etwas ändern. Vielleicht könnte ich dir dann verzeihen.«
Sie sah von Ginger zu Rachel. »Ich würde auch nicht noch einmal kommen. Aber nicht, weil es mir egal ist, dass ich Schwestern habe. Ich fürchte nur, euch ist es egal, dass ich eure Schwester bin.« Ein zaghaftes Lächeln hob ihre Mundwinkel. Ihre Augen waren fest auf Rachel gerichtet. »Du hast gesagt, du hättest schon genug Familienprobleme. Weißt du, ich war in meiner Familie immer der Außenseiter, da muss ich mir das nicht auch noch von euch anhören.«
Mit einem Mal fühlte sich Jessie völlig erschöpft. Er wusste, es war seine letzte Chance, um dem Treffen eine andere Wendung zu geben. Doch die Worte wollten nicht kommen. Er sah hinunter auf die geknickten und abgegriffenen Fotos und begriff, dass es zu spät war.
Ruhig ließ er sie wieder in der Tasche verschwinden und beobachtete seine Töchter dabei, wie eine nach der anderen das Zimmer verließ. Vergeblich wartete er auf einen letzten Blick von Christina.
10
Lucy
Lucy betrat den Aufzug und drückte den Knopf für den fünften Stock. Sie war Elizabeth bis in die Tiefgarage gefolgt und hatte versucht, sie zu dem Treffen mit Jessie zu überreden. Es war nicht überraschend gewesen, dass sich Elizabeth als ebenso stur wie ihr Vater erwiesen hatte. Keines von Lucys Argumenten hatte verfangen. Keine ihrer Bitten hatte Elizabeths Abwehr überwunden.
Lucy wäre froh, wenn sie sich einreden könnte, dass es auf ein paar Tage nicht ankam. Dass Elizabeth mit der Zeit ihre Meinung ändern und einem Treffen zustimmen würde. Aber dafür gab es nicht das geringste Anzeichen. Jetzt konnte sie nur hoffen, dass Jessie bei den drei anderen mehr Erfolg hatte.
Doch als die Aufzugtüren zurückglitten, wurde diese Hoffnung bereits zunichte gemacht. Rachel wartete nicht einmal, bis Lucy ausgestiegen war. Sie drängte sich an ihr vorbei, als könnte sie es nicht erwarten, diesen Ort zu verlassen. Ginger und Christina folgten ihr. Lucy drehte sich zu ihnen um. Keine blickte ihr ins Gesicht.
»Danke, dass Sie gekommen sind«, sagte Lucy. »Ich weiß, dass es Ihrem Vater viel bedeutet hat, Sie alle noch einmal zu sehen.« Die Türen schlossen sich. Einen Augenblick blieb sie wie angewurzelt stehen und starrte auf das Holzfurnier.
»Ist alles in Ordnung mit Ihnen, Miss Hargreaves?«, fragte die Empfangsdame.
Lucy zwang ein Lächeln auf ihr Gesicht und drehte sich um. »Alles im grünen Bereich, Margaret. Diese Besprechung war mein einziger Termin heute. Wenn Sie also nach Hause gehen möchten, kann ich das Abschließen übernehmen.«
»Sind Sie sicher? Mir macht es nichts aus, zu warten.«
»Danke, aber das ist schon in Ordnung.« Lucy knöpfte im Gehen ihre Kostümjacke auf. Trotz Maßanfertigung passte sie nicht richtig. Jedes Mal schwor sie sich, das Teil nie wieder zu tragen. Aber wenn sie es dann aussortieren wollte, meldete sich das kleine Mädchen mit den billigen Versandhauskleidern. Sie konnte einfach nichts wegwerfen, was noch völlig in Ordnung war. So wanderte das Kostüm wieder zurück in den Schrank.
Jessie neckte sie immer wegen ihrer Anspruchslosigkeit. Er pflegte zu sagen, dass sie ihm drei Insolvenzen erspart hätte, wären sie einander früher begegnet. Wenn sie ihm dann entgegenhielt, dass sie ohne ihn ihre Kanzlei nie so vorwärtsgebracht hätte, tat er das als unwichtig ab. Jessie hatte ihre Fähigkeiten erkannt, während andere noch die Länge ihrer Röcke beurteilten.
In den vergangenen fünfzehn Jahren war aus dem kleinen Büro in einer Einkaufspassage eine Kanzlei mit acht
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