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Ein Haus für vier Schwestern

Ein Haus für vier Schwestern

Titel: Ein Haus für vier Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgia Bockoven
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Beine über die Bettkante. »Was kann sich da noch verschlechtern?«
    »Die Art und Weise, wie es geschieht«, entgegnete der Arzt geradeheraus.
    Lucy wollte vom Kopfende des Betts neben Jessie treten. Der grün-orange gestreifte Raumteilervorhang blieb an ihrer Schulter hängen und klapperte mit einem metallischen Klirren über die Vorhangstange. »Er hat zu Hause eine Krankenschwester, die die Nebenwirkungen überwachen kann«, log sie.
    Der Arzt blickte zwischen ihr und Jessie hin und her. »Dr. Morrison hat mir doch erzählt, dass Sie sie rausgeschmissen haben …«
    Lucys Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. »Ich habe bereits eine neue eingestellt. Sie, ich und Mr Reeds Haushälterin werden dafür sorgen, dass es ihm nach seiner Entlassung an nichts mangelt. Ich gehe davon aus, dass wir genaue Anweisungen in schriftlicher Form von Ihnen bekommen?«
    Der Arzt hatte keine Chance. Wenn sie in Fahrt war, konnte Lucy jedem ein X für ein U vormachen.
    Während er die Arme vor der Brust kreuzte und dabei sein Klemmbrett umarmte, straffte der Arzt seine Haltung. »Sie haben mit dem heutigen Tag ein neues Stadium erreicht, vielleicht das finale. Wenn Sie noch etwas erledigen müssen, sollten Sie das bald tun.«
    Jessie entging die Ironie nicht, die darin lag, dass er heute etwas Neues begonnen und nicht etwas Altes abgeschlossen hatte. »Danke, dass Sie mir das sagen.«
    Der Arzt nickte. »Wenn Sie darauf bestehen, werde ich dafür sorgen, dass Sie Ihre Entlassungspapiere bekommen. Ich werde Ihnen auch neue Medikamente verschreiben. Falls diese nicht ausreichend sind, und Sie trotzdem Schmerzen haben, wird Dr. Morrison wahrscheinlich eine Morphinpumpe anfordern.«
    Jessie konnte nicht anders, er musste das fragen. »Wie lange noch?«
    Die Antwort kam nicht sofort. »Ich bin kein Freund solcher Prognosen. Der Mensch neigt dazu, sich an das zu halten, was er weiß«, sagte der Arzt dann zögernd.
    »Tja, wie der Teufel es will, habe ich gerade mit etwas begonnen, was ich vielleicht lieber hätte sein lassen sollen«, sagte Jessie. »Ich bräuchte eigentlich zwei bis drei Monate, um das zu regeln.« Die Enttäuschung drückte ihn regelrecht nieder. »Um es kurz zu fassen, ich muss noch etwas erledigen. Dazu brauche ich ein Zeitfenster von Ihnen.«
    »Wir können eine Kernspintomografie machen lassen. Dann wissen wir, wie weit sich der Krebs ausgebreitet hat.«
    »Was würde das bringen?«
    »Wir hätten eine Bestätigung. Die Geschwüre haben sich in den letzten Monaten weiter ausgebreitet, was Sie versucht haben zu ignorieren. Aber im Kampf mit dem Krebs bringen einen Willenskraft und Sturheit nicht weiter.« Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. »Im besten Fall haben Sie drei bis vier Wochen.«
    Jessie nickte. »Ich weiß Ihre Offenheit zu schätzen.«
    Er sah Lucy an, der eine Träne übers Gesicht rann, und wünschte sich, er hätte das nicht gesehen. Sein Lächeln wirkte ironisch.
    »Es hätte etwas für sich, sich vor einen Bus zu werfen. Dann wäre es wenigstens gleich vorbei.«

12
    Elizabeth
    Mit jeder weiteren Meile bröckelte Elizabeths mühsam aufrechterhaltene Selbstkontrolle ein wenig mehr. So käme sie nie bis nach Fresno. Kaffee. Stark, heiß und am besten total süß, ein Karamell-Macchiato mit extra Sahne zum Beispiel. Eine Ablenkung. Wie sehr sie auch mit ihren Nerven am Ende war, in einem Coffeeshop voller Fremder würde sie sich keinen Zusammenbruch erlauben.
    Sie nahm die erste Ausfahrt nach Lodi und fuhr die Durchgangsstraße entlang. Bis sie einen freien Parkplatz vor einem mexikanischen Restaurant gefunden hatte, zitterten ihre Hände so sehr, dass sie kaum noch lenken konnte. Sie versuchte, ihr Verhalten auf ihre Wut zu schieben, aber das war zu einfach. Sie war noch nie so zornig gewesen wie in dem Augenblick, in dem sie entdeckte, dass die drei Frauen in der Wartezone der Kanzlei ihre Schwestern waren.
    Fragen nach ihrem Befinden oder Zeugen für den Schmerz hätte sie nicht ertragen. Jetzt aber, allein mit ihren Gefühlen, konnte sie ehrlich sich selbst gegenüber sein. Obwohl ihr das sehr schwerfiel. Wenn sie sich ihre Gefühle eingestand, konnte sie sich nicht mehr hinter einem Lügengebilde verschanzen.
    Wie war es möglich, dass Jessie Reed nach dieser langen Zeit immer noch die Macht hatte, sie zu verletzen? Mit fast fünfzig Jahren fühlte sie sich in ihrem Innersten immer noch wie das kleine Mädchen, das er vor fünfunddreißig Jahren im Stich gelassen hatte – und heute

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