Ein Haus in Italien
sein.
Ein Stockwerk darüber, entweder über die steile Haupttreppe oder die hintere Treppe zu erreichen, lag eine weitere Wohnung, die eines Tages Iseult und Allie gehören sollte. Auch sie war in trostlosem Zustand, aber nicht so aufgeteilt wie der Ballsaal und daher leichter als Wohnung vorstellbar. Dort gab es weniger Kükendraht, aus der kaputten Decke ragten nicht so viele bedrohlich wirkende Eisenhaken, und im Fußboden waren nicht so viele Löcher.
Zum weiten Treppenhaus und den Korridoren hin lag eine
Zimmerflucht, die der im ersten Stock entsprach. Anders war nur das große Schlafzimmer, beziehungsweise das Zimmer, das vermutlich als solches geplant worden war. Zwei der vier Fenster reichten so weit zum Boden hinunter, daß sie Türen sein konnten, durch die man auf einen Balkon mit verzierter Terrakotta-Balustrade hinaustrat, der L-förmig um eine Hausecke bog. Imolo erklärte uns, Giovan Battista Nicasi, der Architekt, habe das so entworfen, weil er das Tal und das Land überblicken wollte, das in beide Richtungen bis zum Horizont ihm gehörte. Der Flickenteppich aus Weinbergen, Feldern und Wäldern, der sich bis zu den Hügeln von Muccignano erstreckte, war ebenso sein wie die tiefgelegenen Felder mit fetter Erde am Fluß und die Talhänge auf beiden Seiten.
»Giovan Battista Nicasi«, teilte uns Imolo im Vertrauen mit, »war wahnsinnig.« Offenbar hatte er die ganze Villa, als sie bereits bis zum zweiten Stock gebaut war, abreißen und umdrehen lassen, um genau diesen Blick aus seinem Schlafzimmer zu haben.
»Als die Villa gebaut wurde, gab es in der Nähe kein Wasser für die Bauarbeiten, um Zement und Gips anzurühren. Das war Giovan Battista Nicasi egal. Er bot allen contadini ein Faß Wein gegen ein Faß Wasser. Daraufhin kamen die Bauern zu Hunderten, schleppten ihre Fässer zur Villa hoch, und als die Weinlese kam, hielt er seine Abmachung ein, und das Tal schwamm in Wein.«
Gigi, Imolos rechte Hand, war ein stiller Mann und beteiligte sich selten an unseren endlosen Gesprächen, hier aber unterbrach er und sagte: » El vino fa cantè e l'acqua fa psicè. « (Von Wein singst du, von Wasser pißt du.) Dann gefiel ihm sein Spruch so gut, daß er ihn mit einem langgezogenen » Udiiio! « der Anerkennung wiederholte.
Die Arbeiter wirkten bald wie ein natürlicher Bestandteil unserer Familie. Das Fehlen jeglicher Türen, die im Küchentrakt ausgenommen, förderte die Familiarität. Imolo war der Vormann, dem Gigi in der Hierarchie folgte, und je nach der Arbeit des betreffenden Tages waren noch zwei, drei oder vier Maurer und Verputzer da. Hinzu kam der Elektriker mit seinem Gehilfen, der meistens im Parterre zu finden war, wo er mit dem riesigen und komplizierten Stromnetz kämpfte, das er selbst ausgetüftelt hatte, denn mit dem Haus begannen sich kühnste Handwerkerträume zu verwirklichen. Fragen wie: »Wollt ihr für das Haupttor Einweg- oder Zweiweg-Monitore?« kamen dem Elektriker bereits über die Lippen, als es noch keinen Gedanken an ein Tor gab, von einem Haupttor zu schweigen. Ich versuchte vergeblich zu erklären, daß es uns im gegenwärtigen Stadium lediglich um das Allernötigste gehe, die Handwerker hatten andere Ideen. Die Villa Orsola war die prachtvollste Villa der Gegend, und es war ihnen zu einer Herzensangelegenheit geworden, diese Pracht an den Tag zu bringen. Wir haben immer noch kein Tor, und es wird vermutlich nie eines geben, aber irgendwo unter dem trocknen Lehm, genau den vorgeschriebenen Meter tief, warten Videokabel auf ihren Einsatz.
Da wir den ursprünglichen Marmorkamin verloren hatten, waren die Verkäufer, rechtlich gesehen, vertragsbrüchig geworden, so daß uns ein kleiner Teil der Kaufsumme zurückerstattet wurde. Dieses Startkapital hatte es uns ermöglicht, mit den Arbeiten an der Villa zu beginnen. Als erstes mußten einhundert Jahre Schutt, Gerümpel, Vogel- und Fledermauskot entfernt werden, dann mußten zwei Zimmer und die bestehende Küche hergerichtet und im Parterre ein Badezimmer für Allie und die Beauties gebaut werden.
Also kamen Licht und Wasser den Berg hinauf. Das Ende eines Korridors wurde als Badezimmer abgeteilt, und sanitäre Anlagen hielten in der Villa Orsola ihren Einzug. Das Kind und ich verbrachten unsere Tage damit, einerseits Imolo für seine Bemühungen um unser zerfallenes Haus Beifall zu spenden, andererseits von einer grasbewachsenen Anhöhe nahebei dessen verschachtelte Dachkonstruktion zu betrachten, Zukunftspläne zu
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