Ein Haus in Italien
Inspektionen hatte Imolo angefangen, Robbie »Maestro« zu nennen. Der Maestro war sich der Absurdität seiner Lage bewußt und betonte sie, indem er seine Runde nie machte, ohne zuvor des Effektes wegen einen Fez aufgesetzt und einen Stockdegen ergriffen zu haben, mit dem er auf seine Vorschläge deutete. Erst als er eines Nachmittags zu diesem Termin in der Originaltracht der schottischen Highlander antrat, entdeckte Imolo hinter dem Unsinn einen Hauch Ironie. Er beschimpfte ihn ohne Umschweife und mit ebensoviel Gefühl wie seinen geliebten AC Milan, wenn dieser ein Spiel verlor. Und er rächte sich, indem er die wöchentlichen Rundgänge strich. Das hätte den Maestro freuen sollen, aber ich glaube, seine byronschen Spielereien fehlten ihm.
9. Kapitel
T agsüber malte der Maestro im offenen Dachstuhl. Allie half bei den Bauarbeiten und verkrustete sich regelmäßig mit nassem Zement. Imolo begann, Allies Kleider zum Waschen seiner Frau Maria mitzunehmen und am folgenden Tag als makellos gefaltete Päckchen zurückzubringen. Das Kind Iseult schlief bis in den Nachmittag und schöpfte Kraft für eine weitere Nacht zermürbenden Vergnügens. Die Beauties schliefen ebenfalls, halbtot, in ihrer abgesperrten Wohnung, in der lediglich ein laufendes Radio auf Leben hindeutete.
Nur Iseult konnte durch deren Schlummer dringen. Wenn sie aufwachte und Zugang zum einzigen Badezimmer im Haus wollte, hämmerte sie mit solcher Wucht an die Türen und Fenster, daß sich die Beauties schließlich rührten. Bevor sie ihre Höhle aufzuschließen geruhten, trugen sie Handgemenge aus und schrien sich an, um zu entscheiden, wer zuerst ins Badezimmer gehen würde. Sobald die Tür offen war, würde Iseult, wie sie aus Erfahrung wußten, wie eine Besatzungsarmee einfallen. Von dem Augenblick an, in dem sie Fuß in das kleine Duschbad setzte, verfiel es nicht nur in einen Zustand äußersten Chaos, Iseult kam auch stundenlang nicht mehr heraus. Sie war taub für Bitten und Beleidigungen. Äußerst widerwillig duldete sie es, wenn jemand sich an ihr vorbeiquetschte und den Raum mit ihr teilte, aber sie ließ sich von niemandem hinausmanövrieren. Allie badete inzwischen bei Imolo zu Hause, der Maestro und ich konnten in den Abend- und Nachtstunden ins Bad, wir hätten dort auch übernachten kön
nen, falls uns danach gewesen wäre, während die anderen Anwärter die Tanzflächen Mittelitaliens abklapperten.
Tagsüber wurde ich in die Welt der Steine eingeweiht. Böden, Wände, Simse, Stürze, Stufen und Treppenhäuser waren ausnahmslos aus Stein. Überall behinderten Steine die Arbeit der Bagger. Ich wurde regelrecht zu einem Groupie im örtlichen Marmorlager, wo ich Qualität, Schattierung und Transportweg eines jeden Marmorblocks erörterte und in der Werkstatt über die kreischenden Fräsen hinweg meine Wünsche brüllte.
Wenn ich Imolo und die Beaufsichtigung seiner Arbeiten schwänzte, dann zugunsten des Ödlands meines zukünftigen Gartens. Ich päppelte in Töpfen Windensamen und schabte im steinharten Dreck herum, um Kapuzinerkresse, Rittersporn und Astern den Boden zu bereiten. Ich kaufte vom örtlichen Gärtner Geranien und meine ersten Kräuter: Rosmarin, Thymian, Salbei und Majoran. Ich kaufte zahllose feuchte Zeitungspapierbündel mit Basilikumpflanzen. Ich kaufte eine Spitzhacke, um damit den kompakten Kies und den festgebackenen Lehm aufzubrechen, die um das Haus die Erde ersetzten, ich pflanzte und goß, hütete und hätschelte einige überaus kränkliche und unglückliche Pflanzen.
Allie erzählte mir dauernd, der Korridor in jedem Stockwerk der Villa, der alten und neuen Teil des Hauses verbindet, sei 18 Meter lang. Es machte ihm das größte Vergnügen, mit Zahlen zu spielen, sie zu addieren, zu multiplizieren und zu dividieren. Er hatte jeden Raum, jeden Spalt und jeden Winkel der Villa ausgemessen, er wußte, wie viele Türen fehlten und wie viele Fensterläden, wie viele hundert Meter Kupfer- und Plastikrohr für die Installation, wie viele hundert Meter Kabel für das Stromnetz nötig waren. Er verbrachte
seine Tage mit Rechnen. Im Erdgeschoß war der Korridor auf beiden Seiten offen und lief über wiederum 18 Metern als säulenbestandene Loggia weiter, woran sich rechtwinklig nach Süden und zum Weinberg hin noch einmal zwölf Meter anschlossen.
Diese Loggia war zweistöckig angelegt. Bei unserer Ankunft war sie im Parterre eine nicht sehr geschickt getarnte Falltür in den Keller, vielleicht auch der Versuch
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