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Ein Haus in Italien

Ein Haus in Italien

Titel: Ein Haus in Italien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa St Aubin de Terán
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abgeschlossen war. Es gibt noch immer eine Nähe zur Kirche, und die Religion ist tief verwurzelt, aber ebenso tief verwurzelt ist der Impuls, ihre Macht zu beschneiden; sich nicht bis zur Servilität einschüchtern zu lassen.
    Als wir versuchten, uns unter die Menge zu mischen, gab man uns das Gefühl, willkommen zu sein. Allie war der Liebling vieler Familien geworden. Nunzia und die Signora Maria horteten beide einen kleinen Vorrat an Süßigkeiten und Orangenlimonade, um ihn zum Bleiben zu überreden. Er war leicht zu überreden. Als sich die Menge aus allen Altersgruppen zu einer lockeren Prozession formte, führte Nunzia ihren Freunden und Freundinnen beglückt vor, wie nah sie dem neuen Kind stand.
    »Wir sind alte Freunde«, teilte sie niemand Bestimmtem und doch laut genug mit, um ebenso Don Annibale wie die fernen Gotteslästerer zu übertönen. »Er kommt mich fast jeden Tag besuchen, nicht wahr, Alessandro?«
    Allie war zu schüchtern, um zu antworten. Da er einer Verbündeten nicht widersprechen mochte, blieb er als Zeichen seiner Loyalität dicht bei Nunzia. Aber was sie oder andere
ihn dann auch fragen mochte, er schwieg, in einem Anfall von Verlegenheit befangen.
    Schließlich richtete Nunzia ihre Aufmerksamkeit auf Robbie und mich. Wir gingen in der langsam kriechenden Schlange zum Bach hinunter, Voyeure ihres Rituals. Don Annibale betete laut, die Gemeinde folgte ihm zur Brücke und flüsterte die Antworten, » Gesú, perdonate le nostre colpe! « Nunzia, die unser Unbehagen als Ungläubige zu spüren schien, kommentierte das gesamte Geschehen, nur von ihren Gebeten unterbrochen.
    »Sie ist unsere Madonna der Arbeit«, wisperte sie. »Sie schützt die Felder und die Früchte unserer Arbeit. Gesú, perdonate le nostre colpe. Wir bitten um Vergebung, und sie paßt auf unseren Mais auf … Und die Kartoffeln. Wenn es die Madonnina nicht gäbe, hätten wir schreckliche Kartoffeln. Sie werden alle schmierig. Die alte Madonnina wurde im Krieg gestohlen. Wir mußten jedes Jahr zu einem leeren Bildstock gehen, bis diese hineingestellt wurde, das war '54. Es war eine Huldigung … Gesú, perdonate le nostre colpe!  … So beten wir Christen.«
    An der Brücke hielt Don Annibale. Sein Meßdiener, ein kleiner Junge, den ich oft auf der Straße unter Reginas Bar mit seinem Fahrrad Kunststückchen hatte machen sehen, rieb sich an den Waden den Staub von seinen neuen Reebok-Turnschuhen und schwang den Weihrauch. Der alte Franziskaner senkte abwechselnd den Kopf und hob ihn zum wolkenlos blauen Himmel, wobei er lautlos die Lippen bewegte, und zwar weder im Einklang mit Don Annibale noch mit der Gemeinde, als spreche er eigene Gebete. Es wirkte wie eine Szene aus einem ausländischen Film, synchronisiert.
    Don Annibale streckte seinen ausgezehrten Arm in alle
vier Himmelsrichtungen, hielt in jede das Kreuz und wehrte Unheil ab. Dann sprach er von Heimsuchungen, als kenne er den Schrecken jeder erwähnten Plage. Er wirkte ohne Zweifel alt genug, um alle persönlich erlebt zu haben, ob Blitz, Unwetter, Hunger, Krankheit oder Krieg, Geißelung oder Erdbeben.
    »Erlöse uns, Herr«, rief er aus, das Kruzifix hochgereckt, und es herrschte eine solche Spannung, daß ich erwartete, der Blitz würde ihn hier und jetzt auf dieser engen Brücke treffen. Es geschah eines jener Wunder, die im Ausbleiben bestehen: Don Annibale blieb unversehrt, es herrschte allgemein Erstaunen und Erleichterung, daß er überlebte, um die Prozession bunter Schirme umzudrehen und sie, nach einigem taktischen Durcheinander, als der Schwanz der gewundenen Schlange ihr Kopf wurde, zum Bildstock und zum wartenden Baldachin zurückzuführen.
    In der höchsten Mittagshitze war ich ebenso erleichtert wie Nunzia und ihre Freundinnen. Im Augenblick der Anrufung hatte sogar der kleine Junge mit der riesigen roten Baseballmütze innegehalten, der Hornisse gespielt hatte und ständig allen zwischen den Füßen herumgelaufen war. Und eine Horde schnatternder junger Mädchen in sehr engen Shorts und trägerlosen Oberteilen, die das Kind Iseult in ihre Mitte schubsten und dann mitschlurften, dabei alle Gebete mitsprachen, die örtlichen Typen beäugten und deren sexuelle Vorlieben diskutierten, hatte ihre Kaugummis ausgespuckt und reglos dagestanden wie eine Schar himmelgewandter Gesichter auf einem Fresko.
    Wieder am Bildstock, las Don Annibale die Messe und predigte kurz über abnehmende Flüsse und abnehmende Gemeinden.
    »Noch vor zwanzig Jahren wären

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