Ein Haus in Italien
Bildstock am Wegrand ein Gerüst und einen Baldachin. An die hohe, galgenähnliche Konstruktion wurde eine Glocke gehängt. Zwei Lastwagen mit Brettern und Böcken, Tischdecken und Limonadekästen wirbelten Staub auf und hielten dann neben dem alten Nicasi-Schuppen an der zweiten Biegung des Feldweges, der zu unserem Haus führte. Die Aufregung war ansteckend. Allie fing an, sich wie das Kind Iseult zu benehmen, er holte seine Koffer hervor, probierte ein Matrosenhemd nach dem anderen und stieg in jede kurze und jede lange Hose, die er besaß. Er war seinem Verhalten nach Italiener genug, um im zarten Alter von sechs Jahren zu wissen, daß festa bedeu
tete, sich herauszuputzen. Imolo hatte gesagt, es würden andere Kinder bei der festa sein, was bei Allie einen panischen Eitelkeitsanfall auslöste.
Das Kind Iseult, voll Enthusiasmus angesichts der bevorstehenden Festivitäten, entschied sich zu dem beispiellosen Schritt, ihre Galane fortzuschicken und einen ganzen Abend lang zu Hause zu bleiben. Wir aßen im Freien unter den Sternen, auf einem geebneten Platz zwischen hohen Stapeln Bodenkacheln. Es war fast Vollmond, mit seinem rosa Hof und der Schar von Glühwürmchen war das Licht weicher als das unserer üblichen Kerzen. Als die Batterien unseres Kofferradios aufgaben und die Puccini-Arien abschnitten, die wir gerade hörten, trugen wir das aufziehbare Grammophon hinaus, das die Beauties freundlicherweise aus Venedig herbeigeschleppt hatten, und kurbelten abwechselnd seine verkratzten Zweiminuten-Tangos an. Wir machten einige halbherzige Versuche, Charade zu spielen, aber die Nacht war zu träge und auch schlicht zu dunkel, um die Nuancen der Vorführung zu würdigen. Also saßen wir nur zusammen, redeten bis zwei Uhr früh und suchten dann die jeweiligen Matratzen auf.
Als ich um sieben aufstand, stellte ich fest, daß sowohl Allie als auch das Kind Iseult vor mir aufgestanden waren. Allie war damit beschäftigt, sein Haar in Form zu gelen und die Ringellocken in Gigolomanier an den Kopf zu klatschen. Das Kind schäumte über vor Energie. Sie trug nichts als eine abgeschnittene Jeans und im Haar eine Zahnbürste. Sie hatte jeden beweglichen Gegenstand aus der Küche geräumt, der Fußboden schwamm in einer wolkigen Seifenlauge.
»Tut mir leid«, sagte sie, als sie durch das aufgewirbelte Zementwasser watete. »Ich bin mit einer labastida aufgewacht.«
Labastida ist ein Wort aus dem südamerikanischen Spanisch, das eine unerklärliche und meist sinnlose Handlung bezeichnet. Es geht zurück auf die de Labastida-Familie, einen Clan spanischer Adliger, die in ihrem Stolz immer nur Angehörige ihrer eigenen Familie heirateten, was schließlich zu einer solchen Inzucht führte, daß ihre Handlungen von einer an Geisteskrankheit grenzenden Blödheit waren. Das Kind stammte väterlicherseits von einer langen Linie der de Labastidas ab.
Auf einer Insel, die durch die gemauerte Feuerstelle des erhöhten Kamins entstand, frühstückten wir Pfirsiche, Crackers mit Honig und heißen Milchkaffee. Um halb neun war das Kind mit Schrubben und Waschen fertig. Um neun war der Fußboden so weit getrocknet, daß er wieder seine ursprüngliche Zementstaubpatina hatte. Um halb zehn hatten sich die Beauties aus ihrem Schönheitsschlaf erhoben, waren fein gemacht und platzten vor Ungeduld, daß es endlich losging. Wir warteten unruhig, nach zehn gesellte sich Robbie in weißem Leinenanzug mit Goldbrokatweste zu uns. Aus irgendeinem Grund hatten wir uns alle weiß gekleidet, als erwarteten wir eine Erstkommunion.
Um elf Uhr läutete die Glocke auf ihrem Galgen, und auf dem Weg durchs Tal kam ihr Ruf auch zu uns. Wir gingen die Schotterstraße hinunter, die mit gelben Blütenblättern bestreut war. Ginster war eimerweise von den umliegenden Bergen geholt und ganz bis hinunter zum Bildstock gestreut worden. Am dichtesten lagen die süß duftenden Blüten um Maria del Gallos Haus und an der Kurve hinter der Ruine des Tempelritter-Turms, vor dem Haus der Cenci. Und dicht lagen sie an der Scheune, wo das gemeinsame Mittagessen serviert werden würde. Eine Menschenmenge sammelte sich,
sie kam aus allen Richtungen über die Feldwege und traf sich am Bildstock.
Don Annibale, der verhutzelte Priester, war schon da, begleitet von einem Franziskanerpater in brauner Kutte und Sandalen sowie einem Meßdiener mit neongrünem Trainingsanzug unter dem Chorhemd. Vor der Statuette in ihrem Bildstock hatte man einen kleinen Küchentisch aufgestellt.
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