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Ein Haus in Italien

Ein Haus in Italien

Titel: Ein Haus in Italien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa St Aubin de Terán
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gewußt, was ein Stachelschwein ist, ich hätte durch diese Unterhaltung die merkwürdige Vorstellung eines Tieres gewonnen, das größer ist als ein Hund, aber kleiner als ein Pferd und das unter der Haut eine Reihe von Bogenschleudern hat, die Stacheln von bis zu einem Meter Länge über so große Entfernungen zu schießen vermögen, daß über die genaue Distanz keine Einigkeit zu erzielen war. Ich blieb vorübergehend aus dem Gespräch ausgeschlossen, als die Männer mehrere wichtige Stachelschwein-Referenzen besprachen, dann wandte sich Beppo del Gallo treuherzig an mich und sagte:
    »Eines weiß ich über Stachelschweine, und das ist, daß ich
mal in einer Nacht an der Brücke eins gefangen habe. Es wog sicher achtzehn Kilo. Wir haben es gebraten. Es war wirklich gut. Ich kann dir nicht sagen, wieviel wir in dieser Nacht gegessen haben. So viel! Uddìo. «
    Wir redeten und tranken und nickten, bis der Vogelgesang rundum aufhörte und ein Grillenchor einsetzte. Drei Brüder vom Hügel hinter unserem Haus standen untergehakt, um sich und ihre innere Weinladung zu stützen. Der mittlere, ein alter Mann mit hagerem Gesicht und Augen wie Rosinen, warf den Kopf zurück und sang in klagendem Tremolo Liebeslieder, die an Grabgesänge erinnerten. Mittendrin hörte er auf und starrte auf seine großen, klobigen Stiefel.
    »Weiter«, ermutigte ihn die noch verbliebene Handvoll Leute.
    »Weiter«, sagte auch ich.
    Allie räusperte sich und blickte peinlich berührt, womit er deutlich machte, daß der Sänger seinetwegen nicht fortfahren mußte.
    »Weiter«, drängten auch seine Brüder.
    Der Sänger schüttelte traurig den Kopf. »Früher hatte ich eine große Stimme, ich habe immer bei der Ernte gesungen. Aber ich habe sie verloren«, sagte er und starrte unverwandt auf seine Füße, als könne er sie dort wiederfinden, wenn er nur lange genug schaute.
    Das Kind Iseult und die Beauties waren schon vor einiger Zeit mit einer Horde Jugendlicher verschwunden. Sie tauchten, aufgelöst und verschwitzt, im Scheunentor auf.
    »Kommt jetzt«, sagten sie.
    Ihre Ankunft war für die nicht völlig Betrunkenen das Signal, hinauszustolpern. Allie nahm die Gelegenheit wahr, mich und Robbie auf die Füße zu ziehen, und auch wir gingen
und machten uns auf den Heimweg den Berg hinauf. Als wir an den Weinstöcken vorbeitaumelten, die bläulich glänzten, weil sie mit Kupfersulfat gespritzt worden waren, am sprießenden Mais und an den staubigen Brombeerbüschen entlang, folgten uns die erstickten Schreie des erneut begonnenen Liebesliedes, wie gefangen in der stehenden Hitze.
     
    Nach dem Fest der Madonnina fiel es mir leichter, bei den Leuten im Dorf ein und aus zu gehen. Ich begann, meine Nachbarn zu besuchen, und Allie war mein Losungswort. Robbie und ich wagten uns weiter ins Zentrum des Dorfes hinein, an den Grenzen von Reginas Bar vorbei zu einer anderen Bar, einer ruhigeren und weniger bizarren Kneipe, die völlig mit wildem Wein zugewachsen war.
    Einige Bauernhäuser am Wegrand waren so groß, daß ich mir gut vorstellen konnte, mich bei Tag darin zu verlaufen, von nachts zu schweigen. Es war üblich, geräumig zu bauen. Ich war mehr an die buntgewürfelten, katenkleinen Häuser Liguriens gewöhnt, die dicht an den Klippen und auf jedem bißchen Land hockten, das vom Meer aus von den nordafrikanischen Piraten nicht einzusehen war. Dann hatte ich die Hütten und kleinen Bauernhäuser anderer italienischer Landstriche kennengelernt. In Venedig lebten Familien wie geschickt gepackte Sardinen auf unglaublich wenig Raum. Natürlich hatte es immer herrschaftliche Villen gegeben: die Villen der Toskana und des Veneto, aber mit wenigen Ausnahmen waren das nicht die Orte, an denen wir gelebt hatten. Zu den Überraschungen Umbriens gehörte das Gefühl von Weite, drinnen wie draußen. Scheinbar endlose Waldflächen streckten sich bis zum Horizont, massive Steinhäuser mit drei und vier Stockwerken beherbergten ebenso viele, oft
mehr Familien, und jede wohnte bequem in hohen Räumen mit großen Fenstern.
    Da wir Tag für Tag die Straße hin und her gingen, wußten wir sehr genau, wie weit die Frucht auf den Feldern war und in welchem Zustand sich beispielsweise die Gräben befanden. Da ich in den ersten Monaten unseres Aufenthaltes auf das Schreiben verzichtet hatte, mehr aus Notwendigkeit denn aus freien Stücken (es herrschte zuviel Durcheinander), flüchtete ich mich in Erinnerungen an meine Zeiten als Farmerin. Vor fünfzehn Jahren war

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