Ein Haus in Italien
Villa in San Orsola, die dem Doktor gehört, der euch den palazzo verkauft hat. Eh, sì , eh, jetzt bin ich dafür zu klapprig, und der Doktor hat den Garten aufgegeben, was ein Jammer ist. Ich vergnüge mich jetzt damit, nach meinen Weinstöcken zu
sehen und Kartoffeln zu pflanzen, und der Mais am Rand des Weinbergs neben dem palazzo gehört mir«, sagte er stolz.
Imolo hatte mir erzählt, Cenci besitze, im Gegensatz zu den meisten seiner Altersgenossen, weder Haus noch Land. Sein ganzer Ehrgeiz richte sich auf ein langes Leben. Er giere nach Leben, trotz aller Rüsselkäfer, die sich in den siebzig oder achtzig Jahren eingenistet hätten, die sein Leben nun schon währte.
Das Kind Iseult erzählte mir, sie habe Cenci schon besucht. Im Gegensatz zu mir war sie nicht schüchtern und wartete nicht auf Einladungen. »Wenn er vom Weinberg hereinkommt, klettert er in eine Kaminecke und balanciert seine Knochen auf eine Bank. Die Küche ist schwarz vor Rauch, der Kamin auch, und er und Gianni sitzen und gucken leer und kichern miteinander. Über dem Feuer hängt ein Topf Wasser an einer Kette, und unter seinem Sitz hat Cenci eine kleine Blechbüchse, in die er spuckt. Einmal saß ich da und starrte ihn an. Man kann durch seinen Kopf hindurchsehen. Er sah, daß ich mich fragte, wie er sich am Leben hielt, und er sagte: »Sò na cèrqua« (Ich bin stark wie eine Eiche). Er ist so lieb, du solltest ihn wirklich besuchen.
Während sich die Prozession auf Brücke und Bach zu bewegte, beobachtete ich Cenci, einen glücklichen Mann, für den jeder neue Tag ein Geschenk ist. Regina hatte mir erzählt, daß unter den Falten seines vertrockneten Körpers Arthritis, Lungenentzündung, Rippenfellentzündung, Emphysem und Krebs gelauert hatten. Während er unter Mühen zum Bach hinunterging und dabei die Beinknochen aus der steifen Hüfte schwang, lächelte er immer noch alle und jeden an. Er flüsterte vor sich hin und kaute imaginären Tabak in einem Mund, den der Verlust der Zähne geleert hatte. Er mur
melte während des gesamten Gottesdienstes, und ich stellte mir vor, daß er sagte: »Sò na cèrqua, sò na cèrqua.«
Cencis Frau Nunzia wuselte neben ihm herum, und trotz seiner Langsamkeit gelang ihr der Eindruck, als bereite es ihr Schwierigkeiten, mit ihm Schritt zu halten. Sie war über siebzig, sah aber viel jünger aus und hatte das Auftreten und die Anmut eines koketten Mädchens. Sie neigte ihr rougegerötetes Gesicht von einer Seite zur anderen, mit einer Hand hielt sie eine traditionelle marineblaue Strickjacke vor der eingefallenen Brust, die andere streckte ein gelbes, mit orangefarbenen Mohnblumen bedrucktes Schirmchen hoch in die Luft. Sie lief zwischen Cenci und Gianni. Cenci bewegte die Lippen, Gianni kämpfte mit seinem Mikrophon und seinem Kehlkopf, während Nunzia losplapperte, halb zu sich, halb zu der vorrückenden Menge. Nunzia und Maria del Gallo waren die Großherzoginnen dieser festa. Sie fand auf ihrer Straße statt, das Essen wurde in der Scheune am Ende von Nunzias Garten serviert. Maria del Gallo allerdings ging nie zur festa , sie erzählte mir, sie sei nicht mehr dabeigewesen, seit ihr Schwager vor zwanzig Jahren einen Schlaganfall erlitten hatte. Daher war Nunzia die Königin der Veranstaltung. Es war ihr Tag, ihre Chance, all die verstreuten Familien von den Hügeln rundum wiederzusehen und sie nach dem Mittagessen in ihre verrauchte Küche mitzunehmen, während Cenci und Gianni in ihrer gemeinsamen Cantina Hof hielten.
Aufregung lag in der Luft. Die Lerchen waren mit ihr aufgestiegen, die nestbauenden Finken hielten inne, um sie zu erkunden. Über uns stand Maria del Gallo auf dem Balkon, sie trug ihr Sonntagskleid (marineblau), von Geranienkaskaden gerahmt. Obwohl die Glocke läutete und Don Annibale Gebete intonierte, führten die Männer, die weiter oben das
Schwein und die Hühner brieten, den Namen der Madonna ständig unnütz im Munde. Ihre Stimmen trugen weit, und die Gemeinde an der Wegbiegung lachte über die Profanität. Nunzia zog ein Gesicht und zuckte kichernd mit den Schultern. Sie ist ein beliebter Zeitvertreib hier, diese Blasphemie oder bestemmia : die Verknüpfung von Tiernamen mit religiösen Begriffen. Die Gemeinde der Papalini (Nachfahren der Untertanen des ehemaligen Kirchenstaates) sieht das mit Nachsicht und einigem Stolz. Der Vatikan regierte seine Staaten hart, knechtete seine Bauern und spielte ihnen übel mit, bis 1861 die Einigung Italiens mehr oder weniger
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