Ein Haus in Italien
Plattenspieler einzustöpseln, Kühlschrank und Boiler zu benutzen und die Treppe zu beleuchten, doch in der großen Küche fanden wir das Licht abends störend grell. Uns fehlten die Glühwürmchen und die Nähe der Nachtigall, die wachte. Schleiereulen nisteten in dem jungen Eichenwäldchen auf unserem Grundstück, vierzig, fünfzig Meter von der Villa entfernt. Ihr milchiger Kot klatschte in das hohe Gras, und ihre Warnschreie klangen durch die Nacht. Das Fehlen von Möbeln war weniger hinderlich, solange wir draußen saßen; der Vorhof war eigent
lich allzu möbliert, denn er war besetzt durch Imolos Kästen, Berge von Baumaterial sowie die beiden Zementmischer, die Wache standen.
Der Mond war in dieser Gegend ein ständiges Thema. In der Landwirtschaft wurde viel von ihm bestimmt, so war es auch in Venezuela gewesen. Wenn die Tabakbauern in Reginas Bar saßen und über Mondphasen und den besten Zeitpunkt sprachen, etwas zu pflanzen und zu beschneiden, konnte ich mein Quentchen Erfahrung beitragen, und als dieses schwache Bindeglied gefunden war, schmiedete ich es täglich und lernte durch diese Mondspekulationen neue Leute kennen.
In der Bar war auch Menchina im Bann der Mondphasen: Sie beeinflußten ihre Migräne, ihr rotes Stirnband wurde nach den Mondphasen und dem Drehen des Windes geknüpft. Sie versicherte mir, der Mond wirke nicht nur auf Kopfschmerzen, Pflanzen, Katzen, Hunde und Kinder, sondern auch auf Schwangerschaften.
»Eh, sì , eh! Alle Schwangerschaften enden mehr oder weniger zu Vollmond. Bei Tieren auf dem Bauernhof ist das immer so, bei Frauen ist es allgemein bekannt. ›Wenn der Mond voll ist, kommt das Kind.‹ Meine beiden kamen auf die Nacht pünktlich.«
Über das Thema Mond lernten wir auch Silvio, den Dichter, kennen. Der Dichter (der auch der Schuster war) kam ohne Ausnahme jeden Abend Punkt acht Uhr fünfzehn, um einen Kaffee zu trinken und zwei elegant dünne Zigaretten zu rauchen. Im Gegensatz zu den meisten Männern seiner Generation (er war über achtzig) kleidete er sich wie ein Dandy in Anzug und Weste. Sein üppiges weißes Haar war makellos geschnitten und geölt und hätte eher zu einem Teenager
als zu dem Urgroßvater gepaßt, der er war. Der Dichter stand mit seinen ein Meter fünfundvierzig vor der hohen Bartheke und konnte gerade hinaufreichen. Eines Abends kam er mit einem ausgefransten Stück Pappkarton herein, das er wie den Taktstock eines Kapellmeisters unter dem Arm hielt. Die Pappe war brüchig, gelb und von einem Gemüsekarton abgerissen. Außerdem war sie mit Kugelschreiber bekritzelt.
Kaum hatte er die Bar betreten, verkündete er: »Menchina, ich habe ein Gedicht über den Mond geschrieben. Ich habe den ganzen Tag damit gekämpft. Ich habe das Gefühl, als habe es mich gewürgt, und nun ist meine Kehle trocken – was soll ich trinken?«
Menchina hatte einen Vorrat an Sprichwörtern auf Lager, die sie auf Knopfdruck produzierte, wie ein mediterranes Poesiealbum. Nun mußte sie sich nicht lange mühen und quälen, um einen ihrer Lieblingssprüche anzubringen. Silvios Frage »Was soll ich trinken?« gab ihr das perfekte Stichwort für einen ihrer liebsten Sätze:
Nun te mètte ntul cammino
Si la bòcca n sa de vino.
(Geh nirgendwohin ohne den
Geschmack von Wein im Mund.)
Silvio war von Natur aus abstinent. Er trank nur zum Essen Wein, wie er uns sofort erzählte. Sein Standardgetränk war, wie wir beobachten konnten, ein Martini, serviert in einem geeisten Cocktailglas mit Olive und Spieß, aber er nippte nur daran und schlug alle Einladungen zu weiteren Getränken aus, die er in der Bar erhielt. Auf seine penible Weise lehnte er Menchinas heiser vorgetragenen Wein-Vorschlag höflich ab, bestellte seinen Kaffee und benetzte sich damit die
Lippen. Dann wandte er sich unvermittelt an mich und erklärte:
»Ich habe vergangene Woche jeden Nachmittag auf dich gewartet. Warum bist du nicht erschienen wie versprochen?«
Ich hatte nie mehr als ein freundliches Kopfnicken mit ihm gewechselt, und das sagte ich ihm.
Menchina unterbrach: »Er ist taub, du mußt schreien.«
Er schüttelte betrübt den Kopf, nachdem ich geschrien hatte, und lächelte ironisch,
»In mir ist nichts Böses«, sagte er. »Ich bin ein Dichter, mein Herz ist in meinen Reimen, aber eine andere Seite meines Herzens verehrt Frauen und ihren Körper … Ich liebe sie, habe sie immer geliebt. Als ich ein junger Mann war, bin ich von einer Villa zur nächsten gezogen und habe
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