Ein Haus in Italien
Schulbüchern beschwert hatte.
Maria d'Imolo kam am ersten Schultag, um ihm bei der Vorbereitung auf die bevorstehende Feuerprobe zu helfen. Sie persönlich packte den fluoreszierenden Regenbogenrucksack mit den neuen Stiften, dem Lineal, sieben Heften, jedes mit grellem Umschlag, den bleischweren Büchern, den einzeln verpackten Kuchenstücken und der kleinen Packung Pfirsichsaft, ohne die keine italienische Mutter ihr Kind mit gutem Gewissen zur Schule gehen läßt. Er war so geschrubbt, gekämmt und gestärkt, daß ich ihn kaum wiedererkannte. Seine langen goldenen Korkenzieherlocken waren an den Kopf geklebt, und er wirkte bleich und nervös, als der weiße kleine Schulbus unsere Auffahrt hinauffuhr und mit kreischenden Bremsen neben dem dort ansässigen Bulldozer zum Stehen kam.
Allie kam um zwanzig vor eins zurück, strahlend und ausgeglichen. Er würde gern in San Orsola zur Schule gehen. Er hatte die anderen fünf Schulen und Kindergärten gemocht, die er bislang besucht hatte, aber es war ihm schwergefallen, seine Schüchternheit zu überwinden. Jetzt war er selbstsicher, ratterte die Namen seiner neuen Freunde herunter und wollte sofort wieder ins Dorf, um mit ihnen zu spielen.
Die Tage relativer Ruhe, die mir im Haus zufielen, waren
ansteckend, und das Kind Iseult zog sich außer Reich- und Hörweite der anhaltenden Cricketspiele in eine Hängematte zurück. Neben sich hatte sie auf einer Seite einen Stapel Bücher, auf der anderen eine Reihe Coca-Cola-Flaschen. Die meiste Zeit verbrachte sie mit dem Aufstellen von Listen, die dann dort liegenblieben und im Garten und den angrenzenden Feldern umherflatterten. Alle begannen mit strengen Vorsätzen wie »Aufstehen, zwanzig Liegestütze, im See schwimmen, acht Gläser Quellwasser mit frisch gepreßtem Zitronensaft trinken. Frühstück halbe Grapefruit, Mittagessen Ricotta, Spinatsalat, keine Salatsoße. Abendessen gegrillter Fisch, Salat. Gesichtsmasken, Massage, etwas für meinen Geist tun, Französisch lernen …« Wenn sie von den Listen genug hatte, trank sie Coca-Cola und fühlte sich gesund und tugendsam. Vom Sportfeld hatte sie schon bald genug und war für die Befehle des Brigadegenerals taub. Als rätselhafterweise die Cricketstäbe verschwanden, ließ sie sich erweichen und überredete Silvio den Dichter, für sie neue Stäbe und auch zwei Querhölzer zu schnitzen.
Eines Tages brachte sie Silvio mit, von zweien seiner Töchter und einem dünnen Stotterer begleitet, der offenbar kein Verwandter war. Silvio hatte beschlossen, uns in das gehütete Geheimnis seines speziellen Walnußlikörs ( nocino ) einzuweihen. Als Überbringer dieser Neuigkeit hatte er seinen Freund ausersehen, der aufgrund seines Stotterns einen Gutteil des Nachmittags brauchte, um diese Mission zu erfüllen. Die beiden Frauen in seiner Begleitung, Clara und Graziella, mit rabenschwarzem Haar, führten ihrem Vater den Haushalt, seit ihre Mutter durch einen Schlaganfall an den Rollstuhl gefesselt war.
Silvio war wie eine Marionette, adrett und zierlich. Er
pickte in seinem Essen herum wie ein lustloser Vogel und mußte angehalten werden, überhaupt etwas zu essen. Seine Frau Dina war riesig und dick. Sie hatte aufgrund ihrer erzwungenen Reglosigkeit extrem zugenommen. Sie akzeptierte ihre Lähmung nicht und wütete dagegen, hatte aber ihren unverheirateten Töchtern die Führung des Haushalts überlassen müssen. Clara hatte sich mit Leidenschaft auf das Kochen gestürzt. Sie entlockte all ihren Verwandten Rezepte. In ihrer winzigen Küche mit Elektroherd und Holzofen kochte sie für ihre große und anspruchsvolle Familie. Einige Rezepte, die sie ausprobierte, waren so kompliziert, daß sie fünf Tage beanspruchten.
Wir haben nie erfahren, warum Silvio ausgerechnet uns zum Hüter der Geheimnisse seines Walnußlikörs erwählt hatte. Vielleicht hatte er gehört, daß Schotten ganz außerordentlich trinkfest sind, vielleicht hatte es ihn überrascht, die Beauties und mich ein ungeschriebenes Tabu verletzen zu sehen, indem wir in einer Bar Alkohol tranken, und sich gedacht, wir sollten besser etwas Hochprozentiges im Haus haben, damit wir dort blieben. Was auch der Grund sein mochte, sein stotternder Freund diktierte uns eine Liste der Dinge, die wir bis zum folgenden Tag einkaufen sollten. Das Rezept für nocino ist wie folgt:
5 Liter reiner Alkohol
1 Pfund Zucker
5 Zitronen
Eine Handvoll Nelken
Das fein gehackte Fruchtfleisch von 30 grünen Walnüssen (bevor die
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