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Ein Held unserer Zeit

Ein Held unserer Zeit

Titel: Ein Held unserer Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Lermontow
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lieber Leser, ist der größte Theil dieser Manuscripte verloren gegangen, und zum Glück für mich ist mir der Koffer mit den übrigen Sachen, die er enthielt, erhalten geblieben.
     
    Die Sonne begann bereits hinter den schneebedeckten Bergzinnen zu verschwinden, als ich in das Koyschauer Thal gelangte. Der Ossete, der mir als Kutscher diente, hörte nicht auf, seine Pferde anzuspornen, um vor Einbruch der Nacht den Koyschauer Berg zu erreichen, und sang daher unterwegs aus voller Kehle.
     
    Welch ein prachtvolles Schauspiel gewährt dieses Thal! Von allen Seiten unersteigliche Berge, röthliche Felsen, bedeckt mit langen grünen Epheuranken und gekrönt mit dichtem Ahorngebüsch; hier und da auf den Abhängen die gelben Spuren reißender Bergströme und dort, ganz in der Höhe, der goldene Saum der Schneeberge, und endlich tief unten im Thal die Aragua, welche, nachdem sie einen andern namenlosen Fluß in sich aufgenommen, dessen Wasser schäumend aus einer finstern, mit nebelartigen Dünsten erfüllten Schlucht hervorstürzen, wie ein Silberfaden sich hinzieht und schimmert wie das Schuppengewand einer Schlange.
     
    Am Fuße des Berges machten wir neben einem Duchan 1 Halt. Dort befanden sich etwa zwanzig Georgier und Bergbewohner, welche sich sehr laut unterhielten; und nicht weit von ihnen hielt eine Kameelkarawane, welche hier zu übernachten gedachte.
     
    Ich war genöthigt, Ochsen vor meinen Wagen spannen zu lassen, um diesen verwünschten Berg zu erklimmen; denn es war bereits Herbst und der Weg mit Glatteis bedeckt, – und dieser Berg hat eine Länge von ungefähr zwei Werst.
     
    Was sollte ich machen? Ich miethete mir sechs Ochsen und einige Osseten. Einer von diesen nahm meinen Koffer, während die andern das Ochsengespann durch ihr Geschrei anspornten.
     
    Hinter meinem Wagen fuhr eine andere Telege. Ich bemerkte, daß, obgleich sie schwer beladen war, sie doch von nur vier Ochsen mit Leichtigkeit gezogen wurde. Dieser Umstand überraschte mich. Der Herr dieses Gefährts folgte zu Fuße nach und rauchte aus einer kleinen, silberbeschlagenen Kabardinerpfeife. Er trug einen Offiziermantel ohne Epauletten und eine tscherkessische Pelzmütze. Er mochte etwa fünfzig Jahre zählen. Seine braune Gesichtsfarbe deutete darauf hin, daß er bereits lange unter der kaukasischen Sonne gelebt, und sein vor der Zeit ergrauter Schnurrbart harmonirte nicht mit seinem festen Schritt und seiner männlichen Physiognomie. Ich ging auf ihn zu und grüßte ihn. Schweigend erwiederte er meinen Gruß mit einem Kopfnicken, wobei er eine ungeheure Rauchwolke in die Luft blies.
     
    "Wie es scheint", sagte ich, "sind wir Reisegefährten." Wiederum nickte er schweigend mit dem Kopfe.
     
    "Sie gehen ohne Zweifel nach Stawropol?"
     
    "Ja wol ... mit Sachen, welche der Regierung gehören."
     
    "Sagen Sie mir gefälligst, woher kommt es, daß Ihr Wagen trotz seiner schweren Ladung von nur vier Ochsen ganz leicht gezogen wird, während der meine, obgleich er fast ganz leer ist, mit seinen sechs Ochsen und einer Escorte von Osseten sich kaum von der Stelle bewegt?"
     
    Er begann verschmitzt zu lächeln und sah mich dann vielsagend an.
     
    "Sie sind wol noch nicht lange im Kaukasus?" versetzte er.
     
    "Seit einem Jahr," antwortete ich.
     
    Er lächelte zum zweiten Mal.
     
    "Aber ich fragte ..."
     
    "Ach," versetzte er, "diese Asiaten sind ganz schauderhafte Halunken. Sie glauben wol, sie spornten die Ochsen an, weil sie so schreien? Der Teufel allein mag wissen, was sie schreien! Aber von ihren Ochsen werden sie ganz gut verstanden. Sie könnten getrost zwanzig anspannen, die Thiere würden trotz dieses Geschreis nicht von der Stelle kommen ... Wie gesagt, schauderhafte Spitzbuben! Aber wie soll man ihnen entgehen? Sie verstehen es, den Reisenden das Geld aus der Tasche zu ziehen, und übrigens hat man sie auch verwöhnt! Sie sollen sehen, sie fordern Ihnen noch obendrein ein Trinkgeld ab. Ich kenne sie; mich führen sie nicht mehr an!"
     
    "Dienen Sie schon lange im Kaukasus?" fragte ich.
     
    "Ich habe schon unter Alexis Petrowitsch 2 gedient," versetzte er, und sein Gesicht erheiterte sich. "Als er das Commando übernahm, war ich Second-Lieutenant; und ich habe mir in unsern Kriegen gegen die Bergbewohner zwei Grade erworben."
     
    "Und jetzt?"
     
    "Jetzt gehöre ich zum dritten Linienbataillon, und Sie, wenn ich fragen darf?"
     
    Ich gab ihm die gewünschte Auskunft.
     
    Damit schloß unsere Unterhaltung, und

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