Ein Herz bricht selten allein
Bettina erbost fest.
Dann packte sie ihre Sachen aus, stieß in ihrem Kleiderschrank auf einen grauen Rock und eine lila Bluse und fand unterm Bett ein Paar Pantoffeln, geradezu albern klein. Und wieder lila!
Bettina stopfte alles, was Julia gehörte, in eine Tragtüte und setzte diese vor die Wohnungstür. Dann stellte sie die Flasche Sekt, von der Bernhard gesprochen hatte, in den Kühlschrank und nahm, nachdem sie die Wanne gesäubert hatte, ein Bad.
Allmählich kehrten die im Zorn erstarrten Lebensgeister wieder, und sie konnte in Ruhe über alles nachdenken. Sie versuchte, sich in keinem wichtigen Punkt zu beschummeln. Sie liebte Bernhard nicht mehr, wahrscheinlich hatte sie ihn nie wirklich geliebt. Er war der erste Mann, mit dem sie etwas gehabt hatte. Sie war ein unmodernes Mädchen gewesen und hatte alles, was man so als jungfräuliches Geschöpf zur Verfügung hatte — Unwissenheit, Ungeschicklichkeit und unverbrauchte Träumereien —, Bernhard unversehrt zum Geschenk gemacht, aber Bernhard hatte mit diesen Gaben nicht viel anzufangen gewußt.
Bettina war ehrlich genug zuzugeben, daß sie bereit gewesen war, Jean als Bernhards Nachfolger einzusetzen. Aber das Schicksal hatte es anders gewollt, und nun war sie heimgekehrt. Und Seggelin? Warum hieß er Ludwig? Blöder spießiger Name. Jedenfalls stand Seggelin auf einem ganz anderen Blatt als Bernhard und auch auf einem anderen als Jean. Sie hatte nur noch keine genaue Bezeichnung für ihre Gefühle ihm gegenüber.
Nur eines stand fest: Er hatte eine großzügige Ader. Er hatte ihr aus der Patsche geholfen, ohne ihre prekäre Lage auszunützen.
Das Telefon klingelte, und Bettina mußte aus dem Bad steigen. Notdürftig abgetrocknet, patschte sie ins Schlafzimmer. Bernhard war am Apparat und redete in dem Ton mit ihr, den man unvernünftigen Patienten gegenüber anschlägt.
»Mach jetzt kein Theater, Bettina«, sagte er. »Versuch mal, in aller Ruhe über die Sachlage nachzudenken. Du bist einfach aus dem Haus gerannt und hast dich damit de jure und de facto ins Unrecht gesetzt.«
»Die Sachlage ist, daß du de jure und de facto Ehebruch begangen hast, und ich habe den Versuch gemacht, mir eine eigene Existenz aufzubauen. Das möchte ich hiermit richtigstellen. Die Sache ist schiefgegangen, leider. Aber ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen. Jedenfalls bin ich wieder heimgekehrt. Ich werde Bibi holen, und wir werden versuchen, wieder zusammen zu leben. Wir fangen wieder von vorn an.«
»Aha«, sagte Bernhard. »Das bedeutet also, daß du mir verzeihst.«
Bettina roch Lunte. Das klang verdächtig nach juristischer Information. Er wollte, wenn es zur Scheidung kam, ihr auf jeden Fall die halbe Schuld aufbürden. »Ich habe nichts von Verzeihen gesagt, Bernhard. Ich habe gesagt: Ich will hier leben und für dich sorgen und vor allen Dingen mit meiner Tochter zusammen sein.« Sie war ganz sicher, daß Julia neben ihm stand und mithorchte. »Wie hat eigentlich Lisa die Sache aufgefaßt?« fragte sie in einem unverbindlichen mitfühlenden Ton, wie man sich etwa nach Zahnschmerzen erkundigt.
Bernhard räusperte sich verlegen. »Wie gesagt, wir werden später in aller Ruhe über alles sprechen. Ich habe jetzt nur eine Bitte an dich: Wärst du so liebenswürdig und so vernünftig, eine halbe Stunde die Wohnung zu verlassen, damit Julia... Damit Fräulein Pfiff ein paar ihrer persönlichen Dinge einpacken kann?« Wieder Räuspern. »Sie hat nämlich... Sie war... Sie hatte sich gestern aus ihrer Wohnung ausgesperrt, und da habe ich ihr angeboten, bei mir zu übernachten.«
»Christliche Nächstenliebe, das ist doch selbstverständlich.« Bettina grinste. »Schleppt sie eigentlich immer ihren ganzen Kram mit sich herum für den Fall, daß sie sich aus ihrer Wohnung aussperrt? Übrigens habe ich alles längst zusammengepackt und vor die Tür gestellt!«
»Wieso?«
»Wieso nicht? In einer Tragtüte.«
»Du kannst mit fremdem Eigentum nicht so umgehen. Du bist haftbar, wenn irgend etwas fehlt.«
Bettina lachte nur und streckte sich, den Telefonhörer in der Hand, behaglich auf der Couch aus. Sie hörte Julia aufgeregt wispern.
»Ich finde das höchst geschmacklos von dir, Hinterhausmanieren«, sagte Bernhard.
»Ich auch«, gab Bettina zu. »Aber weißt du, stilistisch gesehen ist natürlich die ganze Affäre nicht sehr schön. Du kannst dir denken, daß für mich Fräulein Pfiff, lila beschürzt und darunter pudelnackt, auch nicht gerade eine
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