Ein Herz bricht selten allein
Decke baumelnden elektrischen Leitung fest. Dann legte er sich unbekleidet ins Bett und schlief augenblicklich ein.
Als er erwachte, war es erst sechs Uhr morgens, aber die Wanzen hatten während ihrer Nachtschicht gut gearbeitet. Sie hatten eine Straße von Stichen quer über seine Stirn gezogen.
Poldi schulterte seinen Seesack, nahm ein Frühstück in einem Drugstore ein und ließ sich bei einem Friseur rasieren. Dann begab er sich in ein Warenhaus und kaufte sich einen grauen Anzug von der Stange, dazu ein weißes Hemd und eine dunkelrote Krawatte. Auch einen Hut schaffte er sich an. Poldi erinnerte sich nicht daran, außer einem grünen Tirolerhut, den seine Mutter ihm anläßlich eines Ferienaufenthaltes in Innsbruck aufgedrängt hatte, je einen Hut auf seinem Kopf gespürt zu haben. Er probierte ein Dutzend Hüte auf, aber der junge Mann, der ihm aus dem Spiegel entgegenblickte, sah beim zwölften genauso dämlich aus wie beim ersten. Schließlich ergriff er den nächstbesten, bezahlte ihn und stülpte ihn ärgerlich auf.
Punkt zehn Uhr betrat er Frank Kohlmannspergers Büro, eine ganze Reihe mehr oder weniger plausibler Erklärungen auf der Zunge. Ich bin gerade zufällig in New York, und da dachte ich... Aber Frank ersparte ihm dieses Gestammel. Er sagte einfach: »Oh, hallo, Poldi! Nett, daß du uns besuchst. Hast du deine Mutter mitgebracht?«
Poldi, den albernen Hut in der Hand, trat näher. »Nein. Mama weiß überhaupt nicht, daß ich in Amerika bin.«
»So?« Franks Augen überprüften Poldis Erscheinung und blieben unangenehm lange auf den roten Pünktchen auf Poldis Stirn haften. »Wieso weiß sie es nicht? Setz dich doch.«
Poldi hielt Ausschau nach einer Möglichkeit, seinen Hut loszuwerden. Schließlich legte er ihn einfach neben sich auf den Boden. »Ich dachte, ich sehe erst mal zu, wie sich die Sache anläßt.«
»Welche Sache? Ach so, die mit Nancy«, sagte Frank unverblümt. Er wußte Bescheid, und Poldi fand das auch in Ordnung. »Na, ich möchte nicht in deiner Haut stecken, Nancy ist ein harter Brocken«, fuhr er fort.
Frank hielt sich nicht lange bei der Vorrede auf, er ging die Dinge frontal an. Poldi bewunderte ihn. Gleichzeitig war er sich auch Franks Sympathie sicher.
»Ich habe mich auf einem Frachter ‘rübergearbeitet«, berichtete Poldi.
»Ich kann mir denken, daß du nicht mit einem Sonderflugzeug gekommen bist. Aber Anna hättest du es trotzdem sagen können. Was hast du eigentlich gegen sie?«
»Nur das eine: daß sie meine Mutter ist. Ich kann dir gar nicht sagen, welche Klippen das sind für einen Jungen: nur mit einer Mutter aufzuwachsen. Es kommt kein vernünftiger Ton zustande, verstehst du. Ich kann dir das vielleicht nur an Beispielen erklären. Wenn ich mit ihr durch den Schnee stapfe und mich mit dem Nihilismus und Nietzsche auseinandersetze, und sie unterbricht mich mit der Frage, warum ich eigentlich bei der Kälte keine langen Unterhosen anziehe, so trifft mich das wie ein Keulenhieb. Oder sie schickt mir eine Broschüre >Wie mache ich meinen Weg?< und hört nicht auf, mir von Gleichaltrigen vorzuschwärmen, die bereits ein Hochhaus oder einen tollen Namen, zum mindesten aber ein liebes Frauchen, zwei Kinder, eine Lebensversicherung, einen Bausparbrief und einen Dackel besitzen. So was passiert dir eben nur bei einer Mutter, und da reagiert man sauer.« Er blickte Frank ins Gesicht. »Ich hätte einen Vater gebraucht, verstehst du, einen wie dich.«
Frank lehnte sich behaglich zurück in seinen Stuhl. »Unter Umständen kannst du das ja haben. Ich weiß zwar von meiner Tochter sicher weniger als du, aber das eine scheint ziemlich sicher zu sein: Sie ist verliebt in dich. Habe ich recht?«
Poldi zuckte die Schultern. »Darüber haben wir nicht gesprochen.«
Frank schlug mit der Faust auf den Schreibtisch und beugte sich weit vor. »Ja, worüber denn sonst? Erzähl mir doch nicht, daß du mit Nancy nur über Nietzsche gesprochen hast.« Er war ehrlich zornig, und Poldi fürchtete schon, nun folge der Rausschmiß. Aber da lenkte Frank mit einem Seufzer ein: »Ja, ich weiß schon, Liebe als Thema ist verpönt, vor allen Dingen auch das verdächtige Wort. Aber nun mal in eurer Sprache: du stehst auf Nancy, und Nancy steht auf dich, wenn ich mich nicht irre.«
Poldi hielt den Blick starr auf seinen Hut gerichtet und sagte, während ihm die Röte bis zu den Ohren kroch: »Okay, Frank, dann schon lieber mit deinen Worten: Wir lieben einander.« Die Röte
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