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Ein Herz bricht selten allein

Ein Herz bricht selten allein

Titel: Ein Herz bricht selten allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gitta von Cetto
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nicht alles für seine
Kinder. Man log. Und man würde noch ganz anderes für sie tun. Niemand durfte
schlecht reden oder denken über die Brut.
    »Wirklich erst dreiundzwanzig?
Du hast doch im gleichen Jahr geheiratet wie ich.«
    Anna merkte, daß Frank
rechnete. Sie schlug rasch die Tür zu und winkte aus dem Autofenster. »Ich
fahre also voraus.«
     
    Evelyne und Franzi unterbrachen
ihr Gespräch, als Mrs. Ronsfield ins Zimmer trat. Mrs. Ronsfield, Evelynes
Mutter, war eine mittelgroße, hagere Frau mit grauen Augen und einem etwas
schmalen, verkrampften Mund. Sie sah so aus, als halte sie ständig irgendwelche
Klagen hinter ihren verschlossenen Lippen zurück.
    In Wirklichkeit hatte sie sich
über nichts zu beklagen. Ihr Mann besaß eine gute Arztpraxis auf der Insel
Jersey. Die Insel war fruchtbar, ihr Klima mild und fast südlich, und Dr.
Ronsfields Praxis blühte wie die tiefdunklen Gladiolen ringsum in Mrs.
Ronsfields Garten. Mrs. Ronsfield hegte eine schier krankhafte Liebe zu
Gladiolen.
    »Ich weiß genau, warum Mam sie
so liebt. Sie geben so eindrucksvolle Grabgebinde ab. Deshalb durchstöbert sie
auch jeden Morgen so eifrig die Zeitung und freut sich insgeheim, wenn sie
unter den Hinterbliebenen in den Todesanzeigen irgendeinen Bekannten entdeckt,
dem sie ihre Gladiolen andrehen kann«, sagte Evelyne. Sie war, wie alle Mädchen
ihres Alters, eine respektlose Tochter.
    Franzi hatte Evelyne vor Jahren
beim Skifahren kennengelernt. Beide konnten von Apfelstrudel und Coca leben und
waren sich darüber einig, daß die Schule die entwürdigendste und altmodischste
Einrichtung der Welt war. Zum Glück lag das nun hinter ihnen. Es gab nur ein
wichtiges Thema, und das war das Leben, ihr eigenes Leben: Jung sein und sich
nicht im geringsten um die vorfabrizierten Meinungen der >Verstaubten< kümmern.
Die >Verstaubten< waren alle Menschen über dreißig mit Ausnahme des
wunderbaren, über jede Kritik erhabenen Dr. Henry Ronsfield.
    »Ihr Mädchen liegt noch im
Bett?« Die Brauen über Mrs. Ronsfields grauen Augen bildeten einen Bogen
allerhöchsten Erstaunens.
    Evelyne, schon zum Aufstehen
bereit, zog ihre langen stakeligen Beine rasch wieder unter die Bettdecke. »Ja,
warum?« fragte sie herausfordernd.
    Mrs. Ronsfield ging zum Fenster
und riß den Vorhang entschlossen auseinander. Es gab dieses häßliche,
scharrende Geräusch, als ob Autoräder auf Kies blockierten.
    Evelyne hielt sich die Ohren zu
und kniff die Augen vor dem jäh hereinfallenden Tageslicht zusammen. Es war so
behaglich gewesen. Warum stürzte Mam jeden Morgen wie eine Wilde ins Zimmer und
>begann den Tag<, wie sie es nannte?
    »Kommt, Mädchen, macht schnell.
Ein himmlischer Morgen«, verkündete Mrs. Ronsfield.
    Macht schnell! Wozu schnell
machen? Was versäumten sie? Sie waren hier, um ihre Ferien zu genießen.
    »Wollt ihr heute nicht mal nach
Saint Helier fahren? Vorgestern ist dort eine Kunstausstellung eröffnet worden.
Heute steht eine Bombenkritik darüber in der Zeitung.«
    »O ja, gern«, sagte Franzi
höflich.
    Als nur noch Mrs. Ronsfields
Duftwolke im Zimmer war, wälzte Evelyne sich herum. »Warum hast du das gesagt?
Ich weiß doch ganz genau, daß dich die Kunstausstellung anekelt.«
    »Man kann nicht immer unhöflich
sein.«
    »Doch, man kann«, behauptete
Evelyne. »Ich kann es nicht ausstehen, wenn man ständig zu irgendeiner
Unternehmung angestachelt wird. Wir waren gerade so schön im Zug. Wovon haben
wir gesprochen?«
    »Von meiner Nase, die ich mir
abschneiden lassen will.«
    »Du spinnst. Was hast du gegen
deine Nase?«
    »Sie ist viel zu lang. Und
gebogen. Eine klassische Schafsnase. Sie gibt mir einen so edlen Ausdruck, und
ich bin bestimmt nicht edel. Weißt du, was Lester neulich zu mir gesagt hat?
>Ich wette, du schwärmst für Rilke.<«
    »Na und?« meinte Evelyne
traurig. »Das sollte vielleicht eines seiner idiotischen Komplimente sein.«
    Lester war ihr Bruder. Er lebte
in London und arbeitete dort in einem Institut für Meinungsforschung. In diesem
Jahr verbrachte er zum erstenmal seinen Urlaub im Hause seiner Eltern. Er hatte
sich nämlich einen neuen Wagen gekauft und war ziemlich pleite.
    »Lester ist in dich verknallt,
trotz deiner Schafsnase«, meinte Evelyne gähnend. »Ist er eigentlich nett?«
    »Na, hör mal, das fragst du
mich! Das mußt du doch besser wissen. Du kennst ihn schließlich länger.«
    »Na ja, du weißt schon, wie ich
meine. Nett zu Mädchen.«
    »Zu Mädchen im allgemeinen weiß
ich

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